KOLUMNE

Einmal im Monat ist es soweit. Dann verwandelt sich unser Bad in die Kammer des Schreckens, ich mutiere zum dreiköpfigen Höllenhund Fluffy (jedenfalls für meinen Sohn) und dieser galoppiert auf der Flucht als nacktes Grauen durchs Haus.

Sie lachen? Ich nicht. Das, was sich bei uns einmal im Monat nach dem Baden abspielt, mag in anderen Familien ein liebevolles Ritual sein, nicht einmal sonderlich als solches wahrgenommen, bei uns aber hat es eher etwas von einer alttestamentarischen Schlachtopfer-Zeremonie. Jedenfalls für mich. Ich spreche vom Fußnagel-Schneiden. Jawohl, vom Fußnagel-Schneiden. Bis zur Stunde ist mir schleierhaft, warum dieses bei meinem ansonsten ausgeglichen ruhigen Sohnemann derartige Panik-Attacken hervorruft. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich als Frau Dr. Psycho ein frühkindliches Traumata analysieren oder die dunklen Abgründe männlicher Beschneidungs-Ängste zu erhellen versuchen, zumal, wenn er auf der Flucht ist vor Mutter mit Schere. Die alten Götter- und Heldensagen liefern da sehr anschauliches Interpretationsmaterial… Nun: Ich weiß es aber besser. Die Sache ist zu ernst, um darüber Witze zu machen. Und so ein Nagel hat leider auch nicht das feinfühlende Einsehen, um mit dem Wachsen aufzuhören. Was habe ich nicht schon alles versucht? Vom sachlichen Erklären, warum der Nagel geschnitten werden muss, bis hin zum warm dampfenden Schoko-Pudding, serviert gleich nach der großen Tat. Die kleine Schwester als großes Vorbild - hat alles nichts genützt. Ich mag gurren oder murren, liebevoll säuseln oder wütend brausen, tanzen oder toben: Es hilft nichts. Während ich diese Zeilen hier nun schreibe, läuft Wasser in die Badewanne. Meine Zwei sind vom Spielen zurück, gut durchgefroren und reif für die Wanne... und jetzt raten Sie, welche Idee mir beim Schreiben gekommen ist? Jawohl: meinem Großen werde ich gleich die Schere reichen. Zum Selbstversuch. Sandra Blass-Naisar In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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