KOLUMNE

Ach, waren das Zeiten, als mein heimisches Büro noch mein war! Das kreative Chaos auf meinem Schreibtisch hatte ich gut im Griff, und der Computer folgte allein meinen Regieanweisungen. Damit ist es seit Weihnachten vorbei.Harry Potter ist eingezogen, samt meinen Kindern und meinem Mann. Mein Büro: die Kammer des Schreckens.Und das Schlimmste: Ich verstehe meine Familie nicht mehr. Die Bande unterhält sich nur noch über "Flipendo", "Alohomora", "Rictusempra", irgendwelchen Entschleimungszauber, die Diffindo-Herausforderung oder Berti Botts Bohnen.Das geheime Kauderwelsch über die Wichtel aus Cornwall, Feuerkrabben und Baumgeister beginnt bereits morgens beim Zähneputzen. Am Anfang stand ich dem Ganzen amüsiert gegenüber, freute mich, dass unser Sohnemann das Papier seiner Harry Potter-Bücher geradezu zu fressen schien ­ wenngleich meine Begeisterung schlagartig ein jähes Ende fand, als ich ihn dabei ertappte, wie er sich den Wecker stellte, um mitten in der Nacht lesend durch Hogwarts zu schleichen.Seit Harry Potter nun aber auch am Wochenende auf meinem (!) Computerschirm in meinem (!) Büro hext und zaubert, ist es um meinen Clan (und meine Toleranz) völlig geschehen. "Papa, du musst mir helfen. Ich schaffe es nicht, den Gnom aus seiner Höhle zu locken!", gluckst es verzweifelt aus dem Büro. Und tschüss. Mein Götterich ward nicht mehr gesehen.Wir essen später, "weil Papa noch mitten in der Elasto-Herausforderung" steckt, wir kommen später zu Oma, weil unsere Jüngste noch nicht den goldenen Schnatz gefangen hat, ja, überhaupt machen wir alles nur noch später, weil irgendwer irgendwo noch eine Zauberprüfung bestehen muss.Seit Wochen schon warte ich auf den Augenblick, da endlich einer meiner Lieben es schafft, in die Kammer des Schreckens vorzudringen. Dann, und nur dann, so male ich mir das heute aus, hat das Abenteuer ein Ende, verlöscht die Faszination am Geheimnisvollen, Unbekannten, und auch ich, Mama, habe wieder eine Chance, gehört und gesehen (!) zu werden.Jedenfalls vorerst. Die Spiele-Branche kennt keine Gnade für uns Mamas. Der Gefangene von Askaban wartet sicher schon bald auf seine Befreiung. Wo? Ist doch klar: in meinem Büro, an meinem Schreibtisch und auf meinem Computer...Sandra Blass-NaisarIn unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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