Nachts vier mal neue Wäsche

BITBURG-PRÜM. Insgesamt 2,1 Millionen Menschen in Deutschland müssen gepflegt werden. Überwiegend sind es alte Menschen, die Angehörige zu Hause betreuen. Es gibt aber auch Kinder, die ihr Leben lang auf die Obhut ihrer Eltern angewiesen sind.

 Wie ein kleines Kind muss Claudia von ihrer Mutter gefüttert werden.Foto: Stefanie Glandien

Wie ein kleines Kind muss Claudia von ihrer Mutter gefüttert werden.Foto: Stefanie Glandien

ClaudiaFaber aus Bitburg ist so ein Fall. Die 23-Jährige ist seit ihrerGeburt schwerst körperlich und geistig behindert. Außerdem istsie stark autistisch. "Als Baby konnten wir sie noch auf den Armnehmen, jetzt lässt sie keinen mehr an sich heran," sagt ihreMutter Mechthild Faber. Mehrere Fehlgeburten vereitelten zunächst ihren sehnlichen Kinderwunsch. Dann endlich wurde Mechthild Faber wieder schwanger. Ihre Tochter Claudia kam bereits schwerst behindert zur Welt. Die Ärzte vermuteten, dass Sauerstoffmangel während der Schwangerschaft der Grund dafür war.

In der Klinik groß geworden

Claudia kann kaum gehen, schlecht sitzen, nichts kauen. Am liebsten isst sie Babybrei. Eine Banane bekommt sie nicht geschluckt. Mit zehn Jahren hat sie erst sprechen gelernt. "Sie ist praktisch in der Klinik groß geworden," erzählt ihre Mutter. Krankenhausaufenthalte sind auch heute noch oft nötig. Ihr Leben stand mehrmals auf der Kippe. In einer Notoperation wurden der damals 18-Jährigen zwei Titanstäbe in den Rücken eingesetzt, sonst wäre Claudia gestorben. Ihre Wirbelsäule war so schwach und verdreht, dass ihre inneren Organe eingequetscht worden wären.

Ihren Beruf als Kinderkrankenschwester hat Mechthild Faber nie wieder aufnehmen können. Claudia muss rund um die Uhr betreut werden. Sie hat den Intellekt einer Zweijährigen. Ihr Mann, mittlerweile Rentner, steht ihr zur Seite. "Ich könnte das alleine nicht mehr schaffen", gesteht Frau Faber. Erschwerend zur Behinderung ihrer Tochter kommen seit dem vierten Lebensjahr Schreiattacken hinzu. Seit etwa drei Jahren leidet Claudia unter einer Angstpsychose. Die Schreiattacken sind seitdem noch stärker geworden. Oft zerkratzt sich Claudia die Hände bis aufs Blut.

Waschen ist die schwerste Arbeit

Die falsche Gabel am falschen Platz, ein Fussel auf der Hose oder Blumentöpfe, die nicht in Reih und Glied stehen, bringen Claudia zur Verzweiflung. Autofahren - ein fast hoffnungsloses Unternehmen für Familie Faber. Claudia schnallt sich ab, öffnet die Fenster und schmeißt Spielzeug auf die Straße.

Die Pflege ihrer 23-jährigen Tochter ist nicht spurlos an Familie Faber vorbeigegangen. Ihr Mann erlitt vor sieben Jahren einen Schlaganfall. Mechthild Faber hat bereits eine Bandscheibenoperation hinter sich und leidet an Gicht und Asthma. "Claudia morgens zu waschen ist für mich die schwerste Arbeit am ganzen Tag", sagt die 58-jährige. Kampflos lässt ihre Tochter die Prozedur nicht über sich ergehen. Fast täglich muss die Bettwäsche gewechselt werden, manchmal mehrmals die Nacht. "Claudia mag keine Windeln", erklärt Mechthild Faber, "manchmal nässt sie sich bis zu vier Mal die Nacht ein."

Auch tagsüber hat die dreifache Mutter keine Ruhe. Claudia könne man nicht zwei Minuten aus den Augen lassen. Ständig stelle sie etwas an. Beim Kochen beispielsweise streut sie wahllos Salz oder Zucker ins Essen. Einmal hat sie versehentlich ihre Mutter fast vergiftet, als sie ihr in einem unbeobachteten Moment Silberputzmittel in den Quark rührte.

Fremde Menschen lässt Claudia nicht an sich heran. Unterstützung von Pflegediensten sind für Familie Faber leider undenkbar. Claudia reagiert mit Schreiattacken auf Fremde. Ein Aufenthalt im Krankenhaus ohne ihre Mutter ist unmöglich. Urlaub hat Familie Faber seit der Geburt ihrer Tochter nur einmal gemacht. "Das war der Reinfall des Jahres", erinnert sich die Mutter. Claudia fühlte sich nicht wohl und bombardierte ihr Umfeld mit Geschrei. Zweimal die Woche erhält Claudia Besuch von einer Frau im Rahmen des Projekts "Hilfe zum selbstständigen Leben". Das ist die einzige Zeit in der Woche, in der Frau Faber Zeit für sich hat. Mit Claudia in die Öffentlichkeit zu gehen ist für Mechthild Faber oft der reinste Spießrutenlauf.

Mit den Jahren Freunde verloren

Veranstaltungen in geschlossenen Räumen besucht sie erst gar nicht. "Die Menschen reagieren oft mit Unverständnis", klagt sie. Bemerkungen wie "Ihr Kind kostet der Krankenkasse viel Geld" hat sich die Familie auch schon anhören müssen. Mit den Jahren haben die Fabers viele Freunde verloren. Die Leute zögen sich immer mehr zurück, das mache sie oft traurig, sagt die engagierte Mutter. Dabei sei Claudia auch ein sehr geselliger Mensch. Die Familie versucht, sich nicht zu isolieren. Sie gehen zu Fastnachtsumzügen oder im Sommer in die Eisdiele.

Zur ungewollten Isolation mischt sich die Furcht vor eigener Krankheit. "Mein größter Wunsch ist, dass ich noch lange auf den Beinen bleibe", sagt Mechthild Faber. Nervlich und körperlich sei sie nicht mehr so belastbar wie vor 20 Jahren. Im Gesprächskreis für pflegende Angehörige der Caritas tauscht sie ihre Sorgen aus. Wenn es mal gar nicht mehr geht, sucht sie Entspannung bei der Gartenarbeit. Einen Stadtbummel hat sie schon lange nicht mehr gemacht.

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