Raus aus der Zeitfalle

TRIER. (gsb) Trotz Handy, Schnellkochtopf oder Internet scheint die Zeit immer knapper zu werden. Beim Fernsehen das Essen hinunter schlingen, beim Essen machen telefonieren, beim Joggen Geschäfte besprechen: Außer Workaholics sehen sich zunehmend Familien in einer Zeitfalle, klagen unter der Mehrfachbelastung Erziehung, Haushalt, Beruf. In seinem Buch "Entschleunigung" stellt Autor Fritz Reheis Thesen zur Zeitpolitik und Zeithygiene auf.

Das Gefühl, wie ein Hamster im Hamsterrad zu rennen, kennen viele: berufliche Termine, gesellschaftliche Verpflichtungen, familiäre Aufgaben, soziales Engagement, Veranstaltungen, zu denen "man hingehen muss". Für all das muss Zeit sein, die häufig - trotz oder gerade wegen aller technischen Errungenschaften - hinten und vorne nicht reicht. Dazu beruflicher Stress. Zeit für die Familie oder das Hobby ist dann kaum noch vorhanden.Zeitinseln gesucht

Der promovierte Soziologe Fritz Reheis geht in seinem Buch "Entschleunigung" dem Thema Zeitpolitik und Zeithygiene nach. Der Oberfranke, der wechselnd in Rödenthal bei Coburg und Erfurt lebt, fordert "Zeitinseln". "Es sollen nicht nur die Beschleunigungsfallen vermieden werden. Wichtig ist, gewonnene Zeit nicht gleich wieder zu verwerten und zu investieren", meint der 54-Jährige. Wichtig sei, das zu tun, was für einen selbst wichtig ist. Und nicht das, was sich andere für einen ausgedacht haben. Ohne sich selbst als "Ratgeber-Autor" zu sehen, eher mit grundsätzlichen politischen Forderungen aufwartend, formuliert Reheis dennoch eine Reihe von Ratschlägen, um zu mehr Zeitwohlstand zu kommen. Dazu gehört in beruflicher Sicht beispielsweise der Wunsch, den Mittagsschlaf im Büro abzuhalten, Stehpulte aus Rücksicht auf die Wirbelsäule einzurichten oder telefonfreie Arbeitzeiten für konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. Zeitgewinn nicht zum Zweck der Leistungssteigerung, sondern zur Optimierung des Wohlbefindens soll erzielt werden, sagt er. Praktisch umzusetzen sind Reheis Ideale freilich nicht von jedem. "Nicht allen Menschen stehen Privilegien zu, wie zum Beispiel, ein Sabbatjahr zu nehmen", schließlich gebe es "ökonomische Spielregeln". Ihm geht es aber auch um das Freizeitverhalten. Warum Sommerurlaub im Winter und Winterurlaub im Sommer machen, warum konsumieren um jeden Preis, warum Nikoläuse im Sommer und Südfrüchte im Winter essen? "Wir brauchen eine gesellschaftliche Zeitpolitik, die es nicht so schwer macht, auf die eigene innere Uhr zu achten", meint Reheis, der einräumt, selbst gegen die Beschleunigung zu kämpfen und gezwungen sei, ständig über die Verhältnisse zu leben. Optimal sei mittels vernünftiger Zeitpolitik eine soziale Grundsicherung, die es jedem Menschen erlaube, für eine bestimmte Zeit eine Auszeit für sich selbst zu nehmen. Er glaubt, dass eine kritische Bedürfnisprüfung den Weg aus der Zeitfalle zeigt. Manches solle weggelassen, manches vereinfacht werden, man müsse sich andere, mitunter ganz einfache Genussquellen erschließen. "Wir müssen von der dummen zur klugen Lust." Reheis, der als Lehrbeauftragter für Politik, Zeitgeschichte, Soziologie und Pädagogik an verschiedenen Hochschulen unterrichtet, kritisiert auch den Zeitdruck an Schulen. Kinder brauchten mehr Zeit zum Üben und Nachdenken, um eine Neugierde zu kultivieren. Das "Lernen im Laufschritt" führe dazu, dass über das Wahrgenommene nicht richtig nachgedacht werde, nicht wiederholt, geübt oder gar angewendet werde. "Wenn natürliche Lernprozesse gewaltsam beschleunigt werden, führt das in der Regel zu Abstumpfungen", glaubt Reheis. Auch in Schulen sei Zeitknappheit zu beklagen. Fritz Reheis: Entschleunigung, Riemann Verlag, 319 Seiten, 20 Euro Zu Vortrag und Diskussion des Themas "Alles hat seine Zeit - ich habe keine Zeit" (Vom Umgang mit der Zeit im Beruf, in der Familie und in der Schule) mit Dr. Günther Vedder (Universität Trier) lädt das Schweicher Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium am Mittwoch, 24. März, 20 Uhr, ein.

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