roman_0108_78

78Der hat gesagt, der Bischof würde seine Frau oder Freundin, ganz wie man will, regelmäßig in der Gegend von Stadtkyll besuchen. Offenbarhandelt es sich dabei um eine Studienkollegin oder so was.Eine Lehrerin im Ruhestand, wird gesagt.""Das glaube ich nicht", entfuhr es Michels."Kirche hat nicht immer was mit Glauben zu tun", brummte Roth, der diese Geschichte kannte.

"Das ist mehr als ein Gerücht. Berni hat den Bischof und seine Freundin schon oft gesehen, wie sie spazieren gingen. Sie sollen gemeinsam zwei, inzwischen natürlich erwachsene, Söhne haben."

In der Tat hielten sich diese Gerüchte in der Eifel hartnäckig.

Kommissar Faust glaubte sogar, dass sie stimmten.

Trotzdem hegte er heftige Zweifel am Wahrheitsgehalt des Briefs. Besonders, weil er anonym war. Ein echter Christenmensch, dachte Faust, müsste, wenn ihm an der Aufklärung dieses Falles wirklich gelegen war, so viel Rückgrat und Anstand beweisen, dass er sich zu dem Verdacht bekannte.

Deshalb machte Faust zunächst das, was er tun musste, nämlich eine Halterfeststellung.

Die letzte Wunde

Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?", fragte der junge Hotelangestellte mit den steil nach oben gegelten Haaren, der Paul Fricke an der Rezeption des Park Inn in Empfang nahm. "Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise", ergänzte er mit seinem jugendlich-fröhlichen Lächeln, ohne Paul auf die erste Frage antworten zu lassen.

"Ich möchte mich hier mit Frau Kollmann treffen. Kathi Kollmann. Ist sie schon im Haus?", fragte Paul und reichte dem jungen Mann die Hand.

"Nein. Sie bittet Sie aber, hier im Foyer auf Sie zu warten.

Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?"

"Ja, gerne", antwortete Paul und tauchte tief in einen der ledernen Sessel ein. "Einen Kaffee und ein Mineralwasser, bitte."

Als der Hotelangestellte ihm die Getränke servierte, war seine Frage, wie weit es denn bis zur Innenstadt und zum Dom sei, eher rhetorischer Natur. Schließlich kannte er diese Stadt aus dem Effeff.

Bis zur Schildergasse würde es mit der Straßenbahn höchstens zehn Minuten dauern, und zu Fuß wären es in die andere Richtung nur etwa fünfzehn Minuten, bis er den Melatengürtel erreicht hätte, die Straße, in der er damals mit Evi in der Studentenhöhle die bislang glücklichsten Stunden seines Lebens verbracht hatte.

Durch die getönte Glasfassade des Hotels konnte er hinaussehen auf die Innere Kanalstraße, an der Kreuzung müsste er nur nach rechts in die Aachener Straße abbiegen und am Melatenfriedhof vorbeimarschieren, wo so viele prominente Kölner ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Und schon wäre er dort, bei dem auf den ersten Blick eher unwirtlich erscheinenden Mietshaus mit der grün-grauen Fassade.

Doch heute verbot es sich, an diese Zeit zu denken, schließlich stand auch ihm die Freiheit zu, einen neuen Lebensweg aufzunehmen. Ein wunderbarer Anfang war ja schon gemacht, dachte Paul. Und während er etwas unruhig in seinem Sessel hin und her rutschte, den heißen Kaffee schlürfte und sich eine Süddeutsche vom Beistelltisch nahm, überlegte Paul, wie Kathi und er diesen Tag verbringen könnten.

Deshalb las er nur beiläufig den Artikel vom Europa-Gipfel hier in Köln, der erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen war und die Außenminister versammelt hatte, um nach beschwerlichen Verhandlungen die Hoffnung auf einen Waffenstillstand im Kosovo wachsen zu lassen.

"Träumst du?", flüsterte plötzlich eine Stimme ganz nah an seinem Ohr, sodass Paul auffuhr und Kathi mitten ins strahlende Gesicht sah. "Entschuldige bitte, die Leute von RTL haben das Interview in die Länge gezogen. Deshalb habe ich mich etwas verspätet." Dann setzte sie sich zu ihm auf die Sessellehne und legte den Arm auf seine Schulter, und schon erschien der junge Hotelangestellte - über das ganze Gesicht lächelnd - um zu fragen, ob denn die beiden einen Wunsch hätten.

Natürlich hätten sie einen Wunsch, eigentlich sogar sehr viele Wünsche, sagte Paul.

Fortsetzung folgt.

Der Roman "Fluchtwunden" ist in allen TV-Servicecentern für 9,50 Euro erhältlich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort