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15Und so geschah es, dass wir zu acht an die Costa del Sol flogen: Onkel Ewald, Tante Gertrud, Vetter Günter, Kusine Sieglinde, meine Eltern, meine Schwester Claudia und ich.Sieglinde hatte sich zunächst dagegen gesträubt.

Ihr Spanienbild unterschied sich in wesentlichen Punkten von dem der Hanna Aroni. Sie wusste, dass es nicht immer der Klang der Kastagnetten war, der Menschen fesselte- manchmal taten es auch Handschellen. Und wer nachts um die Häuser schlich, waren keine Caballeros mit Gitarren, sondern Mitglieder der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil mit Gewehren. Für Sieglinde war Spanien ein Staat, in dem Andersdenkende unterdrückt wurden. Eine Diktatur, die bekämpft gehörte. Dem konnte mein Onkel schlecht widersprechen. Also traf er die feinsinnige Unterscheidung zwischen guten und schlechten Diktaturen. Und Spanien war definitiv eine gute.Natürlich konnte es auch in einer guten Diktatur passieren, dass man gefoltert wurde. Doch es bestand die Möglichkeit, dass einem nach der Tortur eine eisgekühlte Coca Cola gereicht würde. Zumindest theoretisch. Denn eine gute Diktatur verfügte- im Gegensatz zu einer bösen kommunistischen- über all die Waren, die es in einer wahren Demokratie auch gab.Zum Beispiel Fanta. Ich wusste damals nicht, dass Spaniens Diktator Franco im Sterben lag. Das halbe Land wartete darauf, dass "El Caudillo", der Führer, die Zügel losließ. Ich wusste nur, dass die spanische Fanta anders schmeckte als die deutsche. Intensiver, urlaubiger. Sie sah sogar anders aus. Als hätten die spanischen Fanta-Alchemisten ihrer Brause noch ein paar Extra-E's spendiert. Auf dass die Farbe richtig leuchtete. Ein sattes, fettes Orange, das den Sommer des Lebens versprach.Ein Land, das eine solche Limonade komponierte, musste ein Schlaraffenland sein. Und vielleicht war es das auch. Nicht für die Menschen, die hier lebten- der Existenzkampf wird nicht dadurch angenehmer, dass das Meer rauscht und der Himmel lacht. Aber ganz bestimmt für jene, die sich in Spanien, fernab der Heimat, von ihrem eigenem Existenzkampf erholten.Auf eine Weise, die heute seltsam altmodisch anmutet. Es war die Zeit, in der man Sangria noch nicht eimerweise trank. Auch hätte Franco, bei aller Liebe für den Fremdenverkehr, um nichts in der Welt den Verkehr unter Fremden gebilligt. Spanien war damals das katholischste Land Europas. Führend in der Unterdrückung der Libido.Was ganz im Sinne meiner Tante war. Seit ihrem Klinikaufenthalt in Andernach fürchtete sie die eigenen "unkontrollierten Gefühle" mehr denn je. Emotionen, so ihre Überzeugung, mussten in Bahnen gelenkt werden, in denen sie keine seelischen Schäden mehr anzurichten vermochten.Eine Fähigkeit, die sie an Flamencotänzern bewunderte, ja, erregte. Es bereitete ihr Gänsehaut, mit welcher Hingabe diese ihren Körper einsetzten und doch keine Sekunde einen Zweifel daran ließen, dass sie die Situation kontrollierten. Der Tänzer mochte seine Partnerin mit Inbrunst umgarnen; ihr durch jede Geste, jedes Zucken zu verstehen geben, welche Naturgewalten in ihm wüteten. Nie aber würde er dem inneren Drang nachgeben, sich auf sie zu stürzen. Je heißblütiger er sich bewegte, desto kälter wurde seine Aura. Es schien, als entfernte er sich in dem Maß, in dem er sich ihr äußerlich näherte, innerlich von ihr.Den Gedanken, dass auch Flamencotänzer Menschen aus Fleisch und Blut waren, hätte sie als absurd von sich gewiesen. Der selbstbeherrschte Spanier verkörperte ein Ideal, von dem mein Onkel- in den Augen meiner Tante- tausend Rosenkränze entfernt war. Also musste letzterer so scharf observiert werden, als spähte die Guardia Civil einem baskischen Separatisten nach. Jeder kurze Plausch mit einem weiblichen Wesen- meine Tante achtete darauf, stets in Hörweite zu sein- wurde auf seinen Flirtfaktor hin überprüft. Hatte mein Onkel versteckte Signale gegeben, hatte er zwischen den Zeilen eine Verabredung vorgeschlagen? Das Misstrauen meiner Tante ging so weit, dass sie, wenn jener am Strand lag, seinem Blick zu folgen suchte. Hatte er sich ein williges Opfer herausgekuckt, ihr am Ende gar zugeblinzelt?Natürlich spürte mein Onkel die Rund-um-die-Uhr-Überwachung. Fortsetzung folgt.Das Buch "Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" ist in allen TV-Pressecentern für 19,90 Euro erhältlich.

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