Schimpfwort Nr. 1

BERNKASTEL-WITTLICH. Tunte, Schwuler, Lollilutscher - Schimpfwörter für Homosexuelle gibt es genug. Doch warum hört die Toleranz vieler Menschen bei denen auf, die Partner gleichen Geschlechts haben?

Homo oder Hetero? - Das ist hier die Frage. Doch im Alltag gilt "im Zweifel für den Angeklagten" nicht. Ein Junge, der Lackschuhe trägt, ein Mädchen als beste Freundin hat, sich die Fingernägel feilt, zeigt nach öffentlich-jugendlicher Meinung Anzeichen fürs Schwulsein. Aber warum werden Jungen, die aus der breiten Masse der Baggyhosen-Träger herausstechen, so schnell als schwul bezeichnet?Die Gründe sind vielfältig. "Man ist zum Beispiel neidisch oder kann denjenigen nicht leiden", sagt der 16-jährige Johannes. "Schwul" hat anderen Schimpfwörtern inzwischen den Rang abgelaufen und sich auf der Beliebtheitsskala nach oben gekämpft. Es passt auf alles: Auf die neu rausgekommene Schlaghose, auf den Schmuck tragenden Verkäufer mit der nasalen Sprechweise, auf eine Umarmung zwischen Jungs. Und dabei sind all diese Dinge nicht "schwul", sondern nur nicht "jungenhaft". Das wiederum soll gleichbedeutend sein mit verweichlicht, weibisch, mädchenhaft. Im ursprünglichen Sinne beschreibt es jemanden, der das gleiche Geschlecht anziehender findet als das andere.Eine Ursache für die negative Benutzung des Wortes "schwul" sind Comedyserien. Vor ein paar Jahren wäre kaum jemand darauf gekommen, dass Homosexuelle weniger männlich sein sollen als Heterosexuelle. Aber seitdem Stefan Raab, Bully und Co. Homosexualität als Funfaktor Nummer 1 entdeckt haben, gibt es kein Halten mehr.Die Bullyparade bringt bald das "Traumschiff" auf die Leinwand, in dem es von homosexuellen Maschinenbauern und Navigatoren nur so wimmelt. Auch in anderen Komödien gibt es selten eine Hauptdarstellerin, die keinen Schwulen als besten Freund oder Berater hat. Diese übertriebenen Karikaturen haften im Gedächtnis der - meist jungen - Zuschauer und werden bei Gelegenheit im Alltag angebracht. Ausnahmen gibt es dann, wenn die Beteiligten einen Homosexuellen kennen, der beweist, dass schwul zu sein nichts mit Comedy-Darstellungen zu tun hat.Natürlich liegt die Schuld nicht nur beim Fernsehen, denn eigentlich sollte sich der gesunde Menschenverstand einschalten und fragen seit wann Comedy-Shows die Realität widerspiegeln. Es würde das angeschlagene Image des Wörtchens "schwul" verbessern, wenn jeder von uns die Bezeichnung nur dann benutzen würden, wenn sie wirklich zutrifft und wenn wir Jungen, die sich "unmännlich" verhalten, lassen wie sie sind.

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