Siebenjährige im Diätwahn

TRIER. Vier von zehn Jugendlichen sind mit ihrem Körper unzufrieden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des IJF-Instituts für Jugendforschung. Die Folgen dieser Unzufriedenheit sind oft gefährliche Krankheiten wie Magersucht und Bulimie.

Auf überdimensionalen Plakaten, im Fernsehen und in zahlreichen Zeitschriften sieht man ihn: den perfekten Körper. Schlank und durchtrainiert, ohne ein Gramm zu viel auf den Hüften. Solche Schönheitsideale werden immer häufiger zum erstrebenswerten Vorbild vieler Kinder und Jugendlicher. Heranwachsende sind mit dem eigenen Körper unzufrieden, vor allem Mädchen. Das IJF-Institut ermittelte in einer Repräsentativbefragung bei 13- bis 19-Jährigen, dass fast die Hälfte der befragten Mädchen den eigenen Körper als "eher zu dick" empfinden und acht Prozent finden sich "eher zu dünn".Kaum ein Mädchen ohne Diäterfahrung

"Es gibt kaum ein Mädchen, dass noch keine Diäterfahrungen gemacht hat", sagt Annemarie Hinkeldey, Kinderpsychiaterin in Trier. "Der Trend zur Gewichtskontrolle nimmt immer mehr zu. Gerade für Jugendliche wird die körperliche Attraktivität immer wichtiger." Die Untersuchungen der Kasseler Beratungsstelle für Essstörungen bestätigen dies. Ein Viertel der Sieben- bis Zehnjährigen und die Hälfte der Elf- bis 13-Jährigen haben bereits eine Diät hinter sich. Die Beratungsstelle sieht den Grund für diese Zahlen in der gestiegenen Bedeutung der Schönheitsideale, die bereits die Kleinen extrem beeinflussen. Aus Angst, die Voraussetzungen für ein solches Ideal nicht zu erfüllen, ändern die Betroffenen ihr gesamtes Essverhalten. Die verschiedensten Diäten werden ausprobiert, Kalorien penibel gezählt und warme Mahlzeiten gemieden. Neben dem Streben nach dem perfekten Körper kommen häufig Probleme mit den Eltern hinzu: "Viele Betroffene wollen sich nicht von ihren Eltern bevormunden lassen. Ihnen ist es wichtig, ihr Essverhalten selbst zu kontrollieren", sagt Hinkeldey. Aus diesem Grund sollten die Eltern den Kindern eine gewisse Eigenverantwortung in der Ernährung geben. Eltern, die zum Beispiel kontrollieren, ob ihre Kinder den Teller leer gegessen oder das Pausenbrot verzehrt haben, würden ihre Kinder zu sehr bevormunden. "Eine große Rolle spielt auch, dass die Eltern den Kindern ein gutes Vorbild sind. Wenn eine Mutter selbst nur drei Erdbeeren am Tag isst, ist es wahrscheinlich, dass die Kinder ein gestörtes Verhältnis zum Essen bekommen", sagt die Psychiaterin. Außerdem sollten vor allem die kleinen Konsumenten ein geregeltes Essverhalten erfahren. Denn immer mehr Kinder lernten keine Esskultur mehr kennen. Den Eltern fehle es oft an Zeit oder Lust, regelmäßig zu kochen. Dabei gehe den Heranwachsenden, neben einer ausgewogenen Ernährung, auch Zeit mit den Eltern verloren.Der Körper als Testobjekt

Hinkeldey sagt: "Die Betroffenen werden immer jünger. Gerade die Zehn- bis Zwölfjährigen leiden häufig an Essstörungen." Durch die fehlende Regelung der Nahrungsaufnahme wachse bei den Kindern die Versuchung, ihr Essverhalten "auszutesten". Die Folgen dieses Austestens sind unterschiedlich. Einige Kinder leben so ihre Diätvorstellungen aus. Viele Kinder, denen die Verpflegung selbst überlassen ist, reagieren genau anders herum. Sie ernähren sich nur noch von Fast Food und Süßigkeiten. Daraus resultiert unter anderem, dass jedes sechste Kind in Deutschland zu dick ist. Zwar kann vielen der Essgestörten mit Hilfe der Eltern und einer Therapie geholfen werden. Und nach und nach gewöhnen sie sich wieder an ein normales Essverhalten. Doch bei einigen führen die Essprobleme auch zu gefährlichen Krankheiten wie Magersucht und Bulimie. Obwohl diese immer häufiger auftreten, werden sie unterschätzt. Viele glauben, dass die "Appetitlosigkeit" nach einer gewissen Zeit wieder weg ist. Doch Magersucht ist nicht nur eine psychische, sondern auch eine körperliche Krankheit. Die Statistik der Kassler Beratungsstelle belegt, dass mehr als 13 Prozent der magersüchtigen Mädchen an ihrer Krankheit sterben. Man darf die Folgen einer Essstörung und die daraus resultierenden Krankheiten also auf keinen Fall unterschätzen. "Sind Kinder oder Jugendliche von einer solchen Krankheit betroffen, müssen sie ärztlich betreut werden oder in eine Klinik", sagt die Trierer Ärztin Hinkeldey. "Alleine bekommt man das nicht in den Griff."

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