Sterneköche der Region: Harald Rüssel, Landhaus St. Urban in Naurath/Wald

Naurath/Wald · Das Wort Landhaus darf der Gast im St. Urban wörtlich nehmen. Die unter anderem mit einem Michelin-Stern und 18 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Küche wurde soeben vom „Feinschmecker“ zum Restaurant des Jahres 2008 gekürt. Harald und Ruth Rüssel setzen dabei auf ländlich-regionale Küche von höchstem Niveau. Der Stil passt zur intakten Natur des Dhrontals und unterscheidet sich deutlich von den meisten anderen Sterne-Häusern.

 Rüssel Harald. Foto: privat

Rüssel Harald. Foto: privat

Auf den sattgrünen Wiesen neben dem Landhaus St. Urban (Kreis Trier-Saarburg) grasen ganzjährig und sehr friedlich drei Limousin-Kühe, der Dhronbach fließt direkt an der einstigen Mühle vorbei, ein Kinderspielplatz zeugt von Bodenständigkeit, und ringsum gibt es nichts als Wald. Hier strahlt alles ungekünstelte Behaglichkeit pur aus, keine Spur von professioneller Gourmet-Abgehobenheit. Die Rinder dürfen sich ihres Lebens sicher sein, auch wenn Küchenchef Harald Rüssel durchaus eine Vorliebe hat für Fleisch und andere Zutaten, die naturnah in der Region erzeugt und frisch verarbeitet werden. Aber die Tiere vor dem Haus sind tabu: „Ich würde es nie übers Herz bringen, sie schlachten zu lassen.“

Der aus Stolberg bei Aachen stammende 42-Jährige fühlt sich in den nun sechzehn Jahren, die er im moselnahen Hunsrück ansässig ist, in Naurath längst tief verwurzelt und zu Hause – das prägt seine Küche. „Anfangs habe ich hier raffinierte, französisch und mediterran inspirierte Gerichte kreiert. Das entsprach dem internationalen Stil, den ich bis dahin in meiner Laufbahn gelernt und gepflegt hatte. Doch vor etwa fünf Jahren habe ich endgültig den Mut entwickelt, eigene und andere Wege zu gehen.“

Maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt waren seine drei Kinder, die heute im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren sind. „Kinder verankern einen in der Region. Durch sie habe ich intensivere Kontakte zu den Menschen und bessere Kenntnis von dem bekommen, was hier vor Ort ist.“

So entdeckte Harald Rüssel allmählich die „hervorragende Qualität“ der Produkte, die in seinem Umkreis erzeugt werden. Mittlerweile stammen siebzig bis sogar neunzig Prozent der Zutaten, die er in seiner Küche verwendet, entweder direkt aus der Region Hunsrück-Mosel-Eifel oder immerhin aus Deutschland. „Das ist für mich kein Dogma, aber ich schätze die Authentizität und Unverwechselbarkeit, die dadurch möglich wird.“ Es sei eine andere Art des Kochens, wenn man die Zusammenhänge von der Entstehung der Produkte bis zu ihrer Verarbeitung kenne.

Mit den Bäckern, Metzgern, Fischern, Jägern und Obstbauern habe sich ein neues Einkaufssystem entwickelt, bei dem das Restaurant tief in die Wertschöpfungskette involviert ist. Obst und Gemüse, Wild und anderes Fleisch, Käse, Süßwasserfisch sowie Weine und Spirituosen bezieht Rüssel wenn irgend möglich aus der Nähe. Sogar wertvolle Tipps für die optimale Zubereitung dieser regionalen Spezialitäten habe er von den Erzeugern erhalten, „die Gespräche beflügeln“.

Das Resultat: Auf der je nach den vorhandenen Zutaten wechselnden Karte findet der Feinschmecker beispielsweise Thiergartner Saibling mit Rote Beete, Lauch, Perlzwiebeln und Markklößchen im Roggenbrotsud oder Hunsrücker Hirschrücken mit Holunderbeerensauce auf Muskatkürbis-Zwiebelkompott und gefülltem Walnusskloß – aufs Höchste verfeinerte rustikale Aromen, die in ihrer Ursprünglichkeit selten sind in der Gourmetklasse.

Die Regionalität seiner Küche kommt auch in Harald Rüssels Kochbüchern zur Geltung: Ein neues mit dem Schwerpunkt deutscher Landhausrezepte erscheint in Herbst 2009. Stilvoll solide ist auch die handgemachte Fassdauben-Messerkollektion, die er in Zusammenarbeit mit der Firma Franz Güde aus Solingen entwickelt hat. Die Griffe bestehen aus über achtzig Jahre altem Eichenholz, dem unverwüstlichen Fuderfass-Holz vom Weingut Weis in Leiwen an der Mittelmosel.

Hierher nämlich stammt Rüssels Ehefrau Ruth. Er lernte die Sommelière während seiner ersten Karrierejahre in der internationalen Sternegastronomie kennen – bei Dieter Müller in der „Schweizer Stuben“ in Wertheim-Bettingen. Sicher haben die eigenen guten Erfahrungen mit den Meistern seines Metiers mit den Ausschlag gegeben für eine weitere Besonderheit von Harald Rüssel.

Anders als viele seiner Sterne-Kollegen ist er selbst engagierter Ausbilder für den Nachwuchs in seinem Beruf. Drei Auszubildende in der Küche und zwei im Service beweisen die konkret gelebte Philosophie: „Ich sehe das als meine soziale Verantwortung an. Mit den jungen Menschen, die teils bereits als 14-jährige Praktikanten zu mir kommen, mache ich sehr gute Erfahrungen. Es ist wichtig, ihre Kreativität nicht zu bremsen, sondern sie zu fördern. Schließlich habe ich selbst diese Chancen gehabt, als ich als 16-Jähriger den Gasthof meiner Eltern verließ und in Gourmetküchen lernen durfte.“

Rüssel war von 2000 bis 2006 Präsident der Vereinigung Jeunes Restaurateurs d'Europe und für die Ausbildung der jungen Fachkräfte zuständig, er begründete in Koblenz die erste deutsche Köche-Eliteklasse. „Wichtig ist allein die Motivation – bei Hauptschulabsolventen genauso wie bei Gymnasiasten.“ Ihnen steht er wie ein echter Coach zur Seite. Sicher vermittelt er ihnen auch die Quintessenz seiner eigenen Kochkunst: keine schnellen Moden, sondern Mut zur Echtheit. „Die deutsche Küche mit ihren typischen Zutaten wird bislang in der internationalen Fachpresse eher klein gehalten und leidet unter einem provinziellen Image. Man braucht einige Zivilcourage, um sich davon nicht beeinflussen zu lassen. Aber die Offenheit für Unorthodoxes ist deutlich gewachsen.“ Auf jeden Fall ist die Welt des Kochens für Harald Rüssel nicht alles im Leben. Die Familie und die Kinder seien das Wichtigste. Er drückt seine Kreativität und Lebensfreude nicht nur am Herd aus, sondern auch am Schlagzeug – mit seinem Sohn.

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