Stimmen aus dem Jenseits

TRIER. Die besten Geschichten schreibt das Leben, hat irgendwann mal jemand gesagt. Wer auch immer es war, er hatte Recht. Die besten Geschichten geschehen tatsächlich im Leben – was Musiker allerdings nicht davon abhält, darüber zu singen, wenn sie schon lange tot sind. Das heißt, gesungen, gerappt oder instrumental untermalt haben die Künstler in der Regel schon zu Lebzeiten, doch die Produktion ihrer Alben müssen sie einflusslos aus dem Jenseits verfolgen.

Der 7. September 1996 ist für den Rapper Tupac (2Pac) Amaru Shakur kein guter Tag. Völlig unverhofft wird er auf der Straße aus einem vorbeifahrenden Auto angeschossen. Vier Schüsse treffen ihn, zwei davon in den Brustkorb. Sechs Tage später versagen Herz und Lunge. Für Tupac endet an diesem Tag, dem 13. September 1996, sein Leben. Nicht aber seine Karriere. Von den 16 Alben, die bisher von Tupac auf den Markt gekommen sind, hat der erfolgreiche Rapper gerade mal fünf zu Lebzeiten veröffentlicht. Der Rest und größte Teil der insgesamt weltweit über 60 Millionen verkauften Alben geht über die Ladentheke, als Verkaufszahlen und Chart-Erfolge für den Musiker längst keine existenzielle Bedeutung mehr haben. Trotz seines tragischen Todes vor neun Jahren ist Tupac immer noch dick im Geschäft. Seine aktuelle Single "Ghetto Gospel" ist derzeit weltweit in den Charts, und angeblich sind die Archive noch voll unveröffentlichter Tupac-Aufnahmen. Bis zu drei Songs soll der ehrgeizige Rapper pro Tag geschrieben haben, was ihm im Nachhinein einen Platz in der Liste der bestverdienenden Toten sichert. Ebenfalls in dieser Liste ist Elvis, der zwar hin und wieder von Verschwörungstheoretikern an der Fischtheke einer amerikanischen Kleinstadt gesehen wird, aber ansonsten als tot gilt. Vor 28 Jahren, 1977, starb der King of Rock'n'Roll (böse Zungen behaupten auf einem goldenen Klo), was ihn aber zu Beginn des dritten Jahrtausends nicht davon abhält, in einem Nike-Werbespot mitzuwirken. Elvis lebt also doch. Aber was ist mit Bob Marley? Nun, der ist tot, starb im Alter von nur 36 Jahren 1981 an Krebs und wurde schon zu Lebzeiten verehrt. "Ich halte mich für einen Revolutionär, dem niemand hilft, der keine Bestechungen annimmt und der ganz alleine mit seiner Musik kämpft", hat die Reggae-Legende einst vor laufenden Kameras gesagt. Der Revolution folgte die Inflation. Seit seinem Tod wird jedes Album zerlegt, neu zusammengesetzt und wieder veröffentlicht. Immerhin: Seine 1984 veröffentlichte Scheibe "Legend" ist mit über 20 Millionen verkauften Exemplaren seine bisher erfolgreichste. So tragisch es auch ist: In der Karriere eines Musikers ist der erfolgreichste Schachzug mitunter der eigene Tod. Nicht veröffentlichte Bänder, verschollene Tonspuren oder längst vergessene Probeaufnahmen aus einer Telefonzelle, bei denen sich selbst hartgesottene Fan-Nackenhaare sträuben, tauchen auf einmal wieder auf, werden digitally remastered, veröffentlicht und verkauft. "Naked", eine abgespeckte Version des Beatles-Klassikers "Let it Be" wird 2003, über zwei Jahrzehnte nach John Lennons Tod (er wurde am 8. Dezember 1980 im Alter von 40 Jahren erschossen), veröffentlicht und trotz umstrittener Qualität über fünf Millionen Mal verkauft. Let it be (wörtlich übersetzt: Lass es sein) denkt sich Lennon möglicherweise, als er sich sein Post-mortem-Werk gemeinsam mit Jimmy Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain, Michael Hutchence, Sid Vicious und Freddie Mercury bei einem Glas Bier im Jenseits anhört. Alle sind sie da. Nur Tupac fehlt. Sitzt auf einer Wolke und bastelt unermüdlich am nächsten Album. The show must go on.

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