Unverstandene Jungs sind erfolglos Schule "verweiblicht"

Jungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu den Verlierern des Bildungswesens entwickelt. Ihre Schulerfolge sind laut Statistiken deutlich schlechter als die von Mädchen. Der Psychotherapeut und Psychologe Allan Guggenbühl widmet dem Schicksal von Jungen in unserem Schulsystem sein neues Buch.

Trier. Die Amokläufe von Jungen gegen Lehrer und Mitschüler sind ein alarmierendes Zeichen, dass Jungen an unseren Schulen in der Krise stecken. Ihr Anteil an den Abiturienten hat so stark abgenommen, dass sie inzwischen deutlich in der Minderheit sind. Bei den Schulabgängern ohne Abschluss sowie bei Sonderschülern hat sich dagegen ihre Anzahl deutlich erhöht. Jungen bleiben doppelt so häufig sitzen wie ihre Mitschülerinnen, sie fliegen doppelt so häufig vom Gymnasium, und ihre Leistungen sind im Durchschnitt um eine Note schlechter.Guggenbühl: Jungs wollen Autos, Fußball, Computer

Autor Guggenbühl spricht von der Schule als einem "jungenfeindlichen Biotop". Schule und Erziehung würden den Eigenarten und Bedürfnissen der Jungen nicht gerecht. In seinem Buch "Kleine Machos in der Krise. Wie Eltern und Lehrer Jungen besser verstehen" macht er Vorschläge, wie die Schule ein Lernort werden kann, der beiden Geschlechtern bessere Chancen bietet. Grundlegend ist für Guggenbühl, dass sich Mädchen und Jungen psychisch erheblich voneinander unterscheiden. Das betrifft die Art, sich ihre soziale Position zu erkämpfen, Aggressionen auszuleben, sich zu motivieren, Gefühle auszudrücken sowie ihre Sprache, ihr Lernverhalten, ihr Spiel. Schulen orientieren sich Guggenbühl zufolge an weiblichen Verhaltensweisen und verteufeln männliche. Für die "Verweiblichung der Schule" macht der Autor die pädagogische Haltung der Lehrerschaft verantwortlich, die einseitig Mädchen entgegenkomme. Damit Schule auch den Bedürfnissen von Jungen gerecht wird, schlägt Guggenbühl vor, im Untericht verstärkt Themen und Interessen von Jungen zu berücksichtigen: Fußball, Autos und Computer. Jungen bräuchten zudem klare Strukturen mit stereotypen Abläufen. Um sie zu motivieren, seien klar formulierte Befehle statt Bitten angezeigt. Lehrer müssten auch akzeptieren, dass Jungen Widerstand brauchten und Konflikte austragen wollen. Ferner sei für Jungen Wettbewerb als Ansporn wichtig.Tipp: Prahlerei positiv nutzen statt bekämpfen

Insgesamt sprechen Jungen laut Guggenbühl gut auf Frontalunterricht an und verlangen Überprüfungen. Es müsse akzeptiert werden, dass männliche Jugendliche ihre Gefühle kontrollieren wollten und dass das Verbalisieren von Gefühlen sie überfordere. Die für Jungen typische Selbstüberschätzung und ihr Hang zu grandiosen Plänen sollten als Potenzial genutzt werden, schlägt Guggenbühl vor. Mit realistischen Zielsetzungen demotivierten Lehrer die prahlerisch veranlagten Jungen. Trier. (sys) David Pensé ist Schulsozialarbeiter an der Medardschule in Trier. Er sieht Jungen im jetzigen Schulsystem als benachteiligt an. Ist die Idee der Gleichheit der Geschlechter gescheitert? Pensé: Nein. Die Idee der Gleichheit der Geschlechter hat auch weiterhin Bestand. Es ist jedoch festzustellen, dass die erzieherischen Angebote in der Schule zu wenig auf geschlechtsspezifische Aspekte des Lernens eingehen. Dies ist sowohl auf die Themen der Angebote zu beziehen als auch auf die Wahl der Methoden. Eine Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Aspekten des Lernens zum Beispiel im Rahmen gezielter Fortbildungen für Lehrer findet nicht ausreichend statt. In welchen Punkten ist Schule "verweiblicht"? Pensé: Erziehung ist generell weiblich dominiert. Eine Bereitstellung erzieherischer Angebote für Jungen ist unter solchen Bedingungen nur schwer zu bewerkstelligen. In dieser Hinsicht erscheinen Jungen als benachteiligte Zielgruppe. Erfahrungsgemäß müssen in der Arbeit mit männlichen Jugendlichen zum Erreichen von Motivation und Akzeptanz nicht nur die Themen stimmen, sie müssen auch von den "richtigen" Personen mit den "richtigen" Methoden vermittelt werden. Viele alters- und entwicklungstypische Verhaltensweisen von Jungen werden rigoros als unangemessen aggressionslastig tabuisiert. Vielfach werden gewaltförmige Auseinandersetzungen bereits auf einem sehr niedrigen Niveau als sozial inakzeptabel eingestuft und mit Sanktionen belegt. Wie müsste sich der Umgang der Lehrer mit Jungen ändern, um ihnen gerecht zu werden und sie besser zu fördern? Pensé: Jungen haben häufig ein Problem damit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Dieses Defizit könnte mit gezielten Lernangeboten und Formen der Unterstützung aufgebrochen werden.

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