Viel Lärm um die Pizza

Wollen wir nicht mal wieder Pizza essen gehen?" Diese Frage wird meistens sonntags von irgendjemanden aus unserer Familie in den Raum geworfen. Klar, warum nicht? Das Kochen bleibt einem erspart, man kann sich in angenehmer Umgebung entspannt hinsetzen und bedienen lassen.

Wir werfen also unsere Rest-Euro zusammen und begeben uns in unser Stammlokal. Warum? Das wird schon bei der Bestellung klar. "Pizza wie immer?", fragt die freundliche italienische Kellnerin. "Gerne", antwortet mein Gemahl, der auf Bewährtes setzend nicht versteht, wie man freiwillig andere Produkte auf der Speisekarte probieren kann. Auch die Wünsche der Kinder werden schon notiert, bevor sie ausgesprochen sind. Man kennt uns schließlich. Nur ich bin mal wieder die, die aus der Reihe tanzt und versuche mal was Neues. Das dient der Abwechslung. Die suchen meine Kinder übrigens auch. Schon werden alle Papp-Bierdeckel zusammengeklaubt und in der Nähe der brennenden Kerze Kartenhäuschen errichtet. Besteck, Parmesangefäß und Taschentücherpackungen müssen als tragende Teile einer abenteuerlichen Brückenkonstruktion herhalten, die einem aus irgendeiner Hosentasche hergezauberten Modell-Ferrari die Überfahrt über den Tisch ermöglicht. Natürlich stürzt das ein oder andere Bauwerk dabei ein, und das Auto fällt scheppernd unter den Tisch. Der Lenker des Gefährts hechtet hinterher und mir gelingt es gerade noch, mein schwankendes Weinglas zu sichern. Rumms, beim Auftauchen vom Boden wird die Tischplatte in Mitleidenschaft gezogen. Die Fanta schwappt gefährlich im Glas. Anschließend wird die Brücke erneut errichtet, wobei die Blicke des Erbauers sehnsüchtig zum Nachbartisch schielen, wo Essig- und Öl-, Ketchup- und Maggiflaschen sowie Serviettenstapel einer kreativen Umnutzung harren. Mein zarter Versuch, mit meinem erwachsenen Gegenüber am Tisch zu kommunizieren, wird durch beharrliche Motorengeräusche von links torpediert. Aber da ist ja noch die Tochter, die inzwischen die Trümmer des Kartenhauses aufgelesen und mit Vaters bestem Kuli zur Grundlage von Denksportaufgaben umfunktioniert hat. Über die stark befahrene Brücke hinweg spielen wir Galgenmännchen. Dann naht die Erlösung: Die Pizza kommt. Schweigend kauen wir. Inzwischen hat hinter uns eine Familie Platz genommen. Eros Ramazotti schmilzt gerade vor Sehnsucht dahin, da brüllt nebenan ein hungriges Kleinkind. Kurz danach hört man das charakteristische Plopp eines fallenden Glases. Die aufgebrachte Mutter weist den Übeltäter zurecht und startet einen hoffnungslosen Versuch, das Tischtuch zu retten. Die Bedienung eilt herbei. Stühlerücken, Besteckklappern und Stimmengewirr. Meine Kinder sind entsetzt. So ein Lärm beim Essen! Kaum haben sie ihr Mahl jedoch beendet, entbrennt ein heftiger Streit um Papas Kuli. Der lässt sich nur durch beherztes Eingreifen der italienischen Kellnerin schlichten, die mit zwei Lutschern an den Tisch kommt. Wir sind der verständnisvollen, kinderfreundlichen Frau sehr dankbar. Zu Hause und nüchtern steht jedoch die Frage im Raum: Wann k ö n n e n wir das nächste Mal wieder Pizza essen gehen? Anke Emmerling In unserer Kolumne "Familienbande” glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag. Das gleichnamige Buch mit 60 Kolumnen ist für 9,90 Euro in allen TV-Pressecentern erhältlich.

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