Von der Sehnsucht nach Familie

TRIER. Selbst noch ein Kind und dann schwanger. Das Erwachsenwerden muss plötzlich ganz schnell gehen. Petra Kunze (Name geändert) lebte bei ihren Eltern in der Nähe von Trier, als sie Mutter wurde. Im Annastift erhalten derzeit drei minderjährige Mütter die Chance, ihr Leben mit Kind zu meistern.

"Beim ersten Mal passiert schon nichts", dachte die 16-jährige Petra Kunze. Von Verhütung hatte sie "keinen Plan". Sexualität war in ihrer Familie ein Tabuthema. Doch seit dem "ersten Mal" ist viel passiert: Petra fühlte, dass da irgend etwas mit ihrem Körper anders war. Ein Besuch beim Frauenarzt bestätigte den Verdacht, den Petra immer wieder zu verdrängen versucht hatte. Der Satz des Gynäkologen: "Sie sind in der neunten Schwangerschaftswoche", riss dem lebenshungrigen Mädchen den Boden unter den Füßen weg. Wie eine Seifenblase zerplatzten die Teenagerträume in der Gynäkologenpraxis. "Das musste ja so kommen", urteilten die Eltern, zu denen Petra nie ein gutes Verhältnis hatte. Der gleichaltrige Kindsvater flüchtete vor der Verantwortung und beendete die Beziehung. Ständige Übelkeit während der Schwangerschaft, permanente Moralpredigten der Eltern und der Jugendtreff in der Nachbarschaft, in dem die Freundinnen über Diskos und Klamotten quatschten, machten die Schwangerschaft zum Alptraum. "Ich habe mich mit dem dicken Bauch nicht mehr ins Jugendheim getraut", erinnert sich Petra. Einsamkeit machte sich breit. Mutterseelenallein brachte Petra ihr Kind zur Welt.Oma riss die Erziehung an sich

Trotz allem liebt Petra ihr Kind. Nach der Geburt riss ihre Mutter die Erziehung des Jungen an sich. "Ich war für ihn da, doch ich durfte nicht für ihn da sein", sagt Petra. Heute führt sie ein selbstständiges Leben. Sie ist mittlerweile Mutter von zwei Kindern. Und sie ist gerne Mutter. Für Fragen ihrer Kinder rund um das Thema Sexualität hat sie immer ein offenes Ohr. Im Nachhinein weiß die junge Frau, dass der Wunsch, ein Kind zu bekommen "ganz tief in ihr drin war". "Eine Flucht aus dem Elternhaus", sagt sie heute. "Die Sehnsucht, eine Familie zu haben, ist einer der Gründe, weshalb Mädchen schwanger werden", erklärt Renate Hilgers, Bereichsleiterin des Mutter-Kind- Wohnheims Annastift in Trier. Derzeit bietet die Einrichtung drei minderjährigen Müttern Wohn- und Lebensraum. Eine der Bewohnerinnen war gerade erst 13, als sie Mutter wurde. "Die Mädchen kommen meist aus sozial schwachen Familien und werden von Jugendämtern oder Beratungsstellen vermittelt", führt Hilgers aus. Auch Mädchen, deren Eltern der Ansicht sind, "wenn sie das Kind kriegen will, dann muss sie lernen, auf eigenen Füßen zu stehen", finden den Weg ins Annastift. Das Wohnheim bietet den Mädchen die reelle Chance zu lernen, mit dem Kind zu leben. Die jungen Mütter wohnen in einer Wohngemeinschaft, die in Blick- und Rufnähe zu den Betreuerinnen liegt. Während die Mütter vormittags die Schulbank drücken und nachmittags die Hausaufgaben erledigen, werden die Kleinen im Kinderzimmer betreut. Auch nachts haben die Teenager die Möglichkeit, ihren Nachwuchs abzugeben. Die wenigsten Teenager haben sich das Elternsein so anstrengend vorgestellt. Außergewöhnlich ist, dass die Beziehung zu den Kindsvätern bei allen drei Mädchen stabil ist. Auch Elternarbeit gehört zu den Aufgaben der Betreuerinnen, denn oft steht ein hoher Grad an Enttäuschung zwischen Tochter und Eltern, der überwunden werden muss. In der Regel wohnen die jungen Mütter ein Jahr im Annastift. Bevor sie mit den Kindern alleine leben, werden sie behutsam auf ein eigenständiges Leben vorbereitet.

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