Von Erstis und Ewigstudenten

Zu Beginn des Studiums strotzen die Erstis vor Arbeitseifer, der sich mit zunehmender Semesterzahl auf ein gesundes Maß reduziert, bis er schließlich jenseits der Regelstudienzeit oft völlig erlischt.

Ein Tag im Leben von Thomas und Martin: 6 Uhr: Thomas (20 Jahre, erstes Semester Germanistik) steht auf und träumt beim Zähneputzen von der Abschlusszeugnis-Überreichung. Zur gleichen Zeit torkelt Martin (32 Jahre, 24. Semester Pädagogik und Philosophie) von der Semester-Eröffnungs-Party nach Hause. 7.45 Uhr: Thomas erreicht abgehetzt den Hörsaal, doch die erste Reihe ist schon besetzt. Er beschließt, morgen noch früher aufzustehen. Martin ist gerade eingeschlafen. 10 Uhr: Thomas überlegt, was genau an der Info-Veranstaltung "Studium für Feministinnen" für seine weitere Karriere wichtig sein könnte. Egal - Hauptsache, er hat Engagement gezeigt. Martin dreht sich noch einmal im Bett um. 10.15 Uhr: Thomas' erste Vorlesung: Sein Nachbar verlässt nach einer Viertelstunde mit der Bemerkung "Zeitverschwendung" den Hörsaal. Thomas entschuldigt sich für ihn nach der Veranstaltung beim Dozenten. Martin kennt diesen Dozenten übrigens persönlich: Sie haben vor 13 Jahren zusammen Abitur gemacht. 11.45 Uhr: Für ein Mittagessen hat Thomas heute keine Zeit, er schreibt die Notizen aus der Vorlesung noch einmal fein säuberlich ab. Martins rechter großer Zeh prüft derweil die Zimmertemperatur. 12.30 Uhr: Thomas ist kurz davor, sein Studium hinzuschmeißen, denn nur fünf der 35 dringend benötigten Bücher sind in der Bibliothek vorrätig. Er spielt mit dem Gedanken, die Taschenuhr, die er von seinem Vater zum Abitur bekommen hat, zum Pfandleiher zu bringen, um sich die übrigen Bücher kaufen zu können. Martin trinkt einen Kaffee und fragt sich, wie sein Dreizehn-Tage-Bart bei Frauen ankommt. 14 Uhr: Thomas ist sich jetzt sicher, dass er sein Studium doch schaffen kann - und zwar in vier Semestern. Außerdem hat er beschlossen, statt der Taschenuhr lieber den Fernseher zu verkaufen - den wird er in nächster Zeit sowieso nicht brauchen. Martin ist mittlerweile bei der dritten Talkshow angelangt. 16 Uhr: Thomas ist auf dem Weg zur Studienberatung, um sich vorsichtshalber schon einmal über die Inhalte der Zwischenprüfung zu informieren. In Gedanken versunken stößt er fast mit einem unrasierten Anfangdreißiger zusammen. "Ungepflegter Ewigstudent", denkt er. "Planloser, nerviger Ersti", murmelt Martin vor sich hin, und muss feststellen, dass es in diesem Semester wieder nichts wird mit der Zwischenprüfung, weil er den Anmeldetermin verschlafen hat. Rebecca Schaal

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