Wenn der Weg zum Ziel wird
Verborgen hinter einer schweren Holztür liegt das neue Zuhause von Lukas Seibel. Verborgen vor Touristen, Pilgern und neugierigen Blicken. Sein Zuhause ist eine Welt, die vielen für immer fremd bleibt. Er selbst lernt sie gerade erst kennen. Lukas Seibel, genauer gesagt, Bruder Lukas, ist Novize in der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier-Süd. Seit November lebt er nun im Kloster, zusammen mit 18 Mitbrüdern. Es war ein langer, kurviger Weg, der den 31-Jährigen schließlich nach St. Matthias geführt hat - und er ist auch jetzt, wo Bruder Lukas Novize ist, noch nicht zu Ende. Sein Weg beginnt vor vielen Jahren in Dessau in Sachsen-Anhalt. Dort wächst Bruder Lukas auf und kommt bereits zu DDR-Zeiten mit der Kirche in Kontakt. Nicht, weil seine Familie erzkatholisch sei, "aber die Kirche hat von der sozialen Struktur her dazugehört", erzählt Bruder Lukas. Die Idee, in einer Ordensgemeinschaft zu leben, hatte er schon früh. Auch, weil er eine kennenlernt: Maristen (katholische Ordensgemeinschaften) machen bei ihm vor Ort Jugendarbeit. "Die haben mich beeindruckt. Einer war vorher Missionar in der Südsee und hat tolle Geschichten erzählt", erinnert sich Bruder Lukas. Die Idee, ein Leben in einer Ordensgemeinschaft zu führen, lässt ihn fortan nicht mehr los. Und doch zieht sein Weg eine andere Kurve - ins Jurastudium. Sein Ziel: Irgendwann einmal eine Familie ernähren, daher das Studium. "Irgendwie habe ich aber gemerkt, das funktioniert nicht richtig", sagt Bruder Lukas, "es hat keinen Spaß gemacht." Irgendetwas fehlt ihm im Leben. Eine Freundin ist es nicht, die hat er zwischendurch. Die Sehnsucht ist trotzdem da. Er denkt, er muss mal raus, braucht Veränderung. Der Weg schlägt eine weitere Kurve ein: Nach Dublin, Irland. Dort arbeitete er zwei Jahre lang für eine Versicherung. "Dublin war toll", blickt der 31-Jährige zurück. Aber das Gefühl des Suchens, dieser Sehnsucht nach etwas anderem, lässt ihn auch dort nicht los. Es führt schließlich in eine Benediktiner-Abtei auf der Insel. Eine Woche Ruhe, eine Woche ausprobieren und feststellen: "Diese Art zu leben hat mit der heutigen Zeit nichts mehr zu tun." Zwischen Mensa und Refektorium
Vom ersten Eindruck lässt sich Bruder Lukas nicht täuschen. Es folgen weitere Besuche, viele Gespräche. Unter anderem mit einem Pater, der auch mal in Trier war - und im Mai 2006 kommt auch Bruder Lukas nach Trier. Es soll kein einmaliger Besuch sein. Im Oktober 2006 zieht er an die Mosel und schreibt sich an der Uni ein. Theologie. Zugleich beginnt er die sogenannte Kandidatur als ersten Schritt hin zum Leben als Mönch. Zweieinhalb Jahre tauscht er alle zwei Monate jeweils für eine Woche Kloster-Zimmer gegen Studenten-Wohnheim, bis im August 2008 das Postulat folgt, der nächste Schritt einer langen Phase des Mit-sich-selbst-Beschäftigens. Und des Nachdenkens darüber, ob der Weg, den man nun etwas mehr geradeaus geht, der richtige ist. "Man zieht dann ins Kloster ein, bleibt aber noch in Zivil", erklärt Bruder Lukas.
Ende Oktober 2008 beginnt sein Noviziat. Nicht nur, dass er jetzt auch zum Gottesdienst, zum Essen, zu Veranstaltungen und auch zum Pressetermin Kukulle trägt, das Ordensgewand. Das einjährige Noviziat ist vor allem eine Prüfung. Passt er in die Gemeinschaft? Will er ein Leben konzentriert auf den Glauben und gemäß den Ordensregeln leben - gehorsam, ehelos und in Armut? Um das herauszufinden, ist Bruder Lukas zurzeit viel mit sich selbst beschäftigt. Und hat wenig Kontakt zur Außenwelt. "Ich muss mich richtig auf dieses Leben einlassen", sagt Bruder Lukas, "dazu ist es nötig, keine Besuche zu empfangen und keine zu machen."
Statt Treffen mit Familie und Freunden stehen regelmäßiger Unterricht durch Mitbrüder auf dem Plan, dazu Gespräche mit dem Novizenmeister, mit dem er über seine Situation im Kloster spricht. Halbtags arbeitet er im Kloster mit. "Heute morgen habe ich den Rasen gemäht", erzählt Bruder Lukas.
Die Eltern in Dessau müssen sich zurzeit mit dem Telefon zufrieden geben. Und wie sehen die die Entscheidung ihres Sohnes, diesen Weg einzuschlagen? "Natürlich hatten sie Angst, dass ich nicht glücklich werde. Aber anscheinend merken sie, dass es mir gut geht." Dass das wohl so ist, das spürt man. Reflektiert, überlegt, aber nicht gezwungen oder aufgesetzt sind seine Erzählungen.
Trotz Ruhe und Gemeinschaftsleben hinter Klostermauern, trotz fester Regeln und Zeiten zum Es sen und Beten: Eingesperrt ist er nicht, bekräftigt er. "Ich gehe auch schon mal in die Stadt ein Eis essen oder ins Kino, dann aber in Zivil." Außerdem nimmt er Klavierstunden. Das Studium hat er unterbrochen. Er empfindet es nicht als Zwang, seine Freizeit dem Ordensleben unterzuordnen. Denn das hat im Moment Priorität. Schließlich muss er sich darüber klarwerden, ob dieses Leben seine Sehnsucht stillt.
Die Familie im Kloster
Der Novize schätzt die Offenheit der Gemeinschaft, in der regelmäßig Leute zu Gast sind, in der einige Brüder außerhalb des Klosters arbeiten, zum Beispiel bei der Stadtverwaltung oder im Krankenhaus. "Du kannst dich auch nicht von der Welt ausschließen, das hältst du nicht aus", ist er überzeugt. Man glaubt ihm das genauso wie die Aussage, dass er die Lebensform im Kloster bevorzugt, ohne andere wie die Ehe abzuwerten. Schließlich sei das ja auch nicht so viel anders als in einer Familie: Jeder sei für den anderen da, jeder nehme sich das, was er braucht. Denn es gilt: Ein Mönch hat keinen Eigenbesitz, es gibt eine Haushaltskasse, und einmal im Jahr fahren alle in Urlaub - an verschiedene Orte, aber bezahlt aus einem Topf. Auch da heißt es: zur Ruhe kommen. Denn "ganz so ruhig ist das Mönchsleben im Alltag nicht", gibt Bruder Lukas zu.
Ganz so dogmatisch aber auch nicht. Zumindest nicht bei den Benediktinern in Trier. "Ich glaube nicht, dass ich einen besseren Glauben habe als ein Familienvater", sagt er. Und schon gar keinen unreflektierten, unkritischen. "Schließlich heißt Mönchsein nicht Buchstabenglauben zu haben, sondern es ist eine Lebensform." Eine, die seinen Weg hat kurvenloser werden lassen.
Ob es für ihn der richtige ist und er nicht, wie viele andere, vorher abbricht und ins "normale" Leben zurückkehrt, kann letztlich nur er selbst entscheiden. Zeit genug hat er dafür. pwr/jöl
sPURWECHSEL - THEMA DER WOCHE