Wenn die Versetzung wackelt

TRIER. (kat) Zur Halbzeit des Schuljahres wurden gestern die "Giftblätter" in den Schulen verteilt. Meist rüttelt die Bemerkung "Versetzung gefährdet" wach. Vor allem auf Nachhilfe bauen Eltern und Schüler, um das Sitzenbleiben am Schuljahresende zu verhindern.

Seit gestern haben die Schüler und Schülerinnen es schwarz auf weiß: ihre Zwischenbilanz - das Halbjahreszeugnis. Und auf manch einem Zeugnis steht unter Bemerkungen: "Die Versetzung ist gefährdet". Ludwig Weyand, Direktor des Max-Planck Gymnasiums in Trier, rät Eltern, ihr Kind erst einmal vertrauensvoll in die Arme zu nehmen und keinen Druck zu machen. Absolut empfehlenswert sei es, in einem gemeinsamen Gespräch mit Klassenleiter und den Fachlehrern die ins Stolpern geratene schulische Laufbahn genauer unter die Lupe zu nehmen. "Für manches Kind kann ,Versetzung gefährdet' ein Hinweis sein, dass der Schultyp nicht der Richtige ist", weiß Weyand. Pubertätsbedingte Krisen, Krankheit oder familiäre Spannungen können Gründe für den Leistungsabfall sein. "Nicht in Panik verfallen", rät Schulpsychologin Anette Müller- Bungert. "Versetzung gefährdet" bedeutet erst einmal, dass das Leistungs- und Lernverhalten nicht den Anforderungen entspricht. Die Mitarbeiterin des Schulpsychologischen Dienstes in Trier rät, das klare Warnsignal ernst zu nehmen und die Ursachen aufzudecken. "Für die Schüler kann die Bemerkung ein wahrer Motivationsschub sein", so die Schulpsychologin. Viele Eltern sehen im Nachhilfeunterricht einen Weg, die Ehrenrunde noch zu verhindern. Die Ausgabe der Halbjahreszeugnisse macht sich daher zurzeit bei Nachhilfelehrern deutlich bemerkbar. "Bereits in dieser Woche haben sich merklich mehr Eltern als sonst bei uns gemeldet", sagt Judith Sonne, Büroleiterin des Nachhilfezentrums "Notenspiegel" in Trier. Auch für die kommenden Tage erwartet sie erfahrungsgemäß, dass das Telefon häufiger klingelt als gewöhnlich. Generell beobachtet Sonne den bundesweiten Trend in ihrem Institut, dass der Nachhilfemarkt boomt wie nie zuvor. Gründe für die gesteigerte Nachfrage sieht die Büroleiterin darin, dass die Leistungsansprüche gestiegen, die Schüler problembeladener als früher sind und große Klassen dazu führen, dass die Vermittlung von Wissen - besonders die individuelle Förderung - in den Schulen zusehends auf der Strecke bleibt.Kinder brauchen auch Zeit zum Spielen

Auch dass Ganztagsschulen den Miss-Stand auffangen werden, bezweifelt Judith Sonne: "Die eingesetzten Betreuungspersonen können sich während der Hausaufgabenbetreuung nicht wirklich um den einzelnen Schüler kümmern." Ludwig Weyand und Anette Müller-Bungert sind sich einig, dass Nachhilfe zwar in einigen Fällen sinnvoll sein kann, aber nicht als Dauerlösung eingesetzt werden sollte. "Es sei denn, es handelt sich um eine Teilleistungsschwäche, wie die Legasthenie", schränkt Anette Müller-Bungert ein. Ein Zuviel an Nachhilfe führt nach Meinung der Psychologin zu einer Überforderung: "Kinder brauchen auch Zeit zum Spielen und um außerschulischen Interessen nachzugehen." Anette Müller-Bungert sieht in dem expandierenden Nachhilfemarkt "ein Signal, das wachrütteln sollte". Schulleiter Ludwig Weyand schielt nach Skandinavien: "Optimal wären Bedingungen wie in Finnland. Die Schulen haben genügend Personal, das sie dazu abstellen können, die Schüler individuell zu fördern."

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