Aufklärung? Ja, bitte!

Ann-Marlene Henning, bekannt aus dem SWR-TV-Format „Make Love“, weiß, dass man „Liebe machen“ lernen kann. Der Wonnemonat Mai bietet die beste Gelegenheit dafür! Im Interview erklärt sie das Geheimnis von gutem Sex und deckt die gröbsten Fehler im Bett auf.

Was ist Ihre Aufgabe als Sexologin?
Ann-Marlene Henning: Eine Aufgabe ist die Sexualtherapie in der Praxis. In der Berufsbezeichnung, die ich damals in Dänemark hatte, ging es zusätzlich um Informations- und Aufklärungsarbeit, unter anderem in Schulen. Ich habe nach wie vor eine volle Praxis, auch hier in Deutschland. Daran sieht man, wie groß der Bedarf ist.

Wer kommt zu Ihnen in die Praxis?
Ann-Marlene Henning: Frauen zum Beispiel, die es noch nicht gelernt haben "zu kommen". Diese Klientinnen habe ich oft. Oder Männer, die zu früh kommen oder ihre Erektion verlieren sowie allgemeine Unlust - bei beiden Geschlechtern wohlgemerkt.

Wie läuft ein Besuch bei Ihnen ab?
Herkömmlich sind Gesprächstherapien. Wir sprechen nur, ja - aber ich habe auch einen Spiegel und es werden Übungen gemacht, denn die Grundprinzipien der körperlichen Erregung sind entscheidend. Dann versuche ich das sexuelle System des Einzelnen zu erfassen, das hat sehr viele Faktoren. Die Faktoren liegen in vier großen Grundbereichen: Erstens: Alles, das mit dem Partner zu tun hat: Liebesgefühl, Intimität, Verführung, zweitens: Kopfbereich (Religion, Eltern..), innere Verbote, Scham. Drittens: Das Körperliche, und als Letztes: Emotionalität, Fantasien - d.h. was reizt mich. Damit arbeite ich dann. Diese Bereiche gehe ich alle an. Es ist eine Mischung aus Erklärung und Aufklärung.

Das Geheimnis von gutem Sex …?
Ann-Marlene Henning: Es hat viel mit den vier Bereichen zu tun (Partner, Erziehung, Körper, Emotionalität). Guter Sex ist mehr zu wissen. Damit kann man den eigenen Körper ganz anders einsetzen. Am Anfang ist das leider wie Fahrradfahren lernen. Guter Sex ist, sich selbst gut zu spüren und dann in den Kontakt mit dem Partner zu gehen. Man kann sehr wohl Sex haben, ohne in Kontakt zum Partner zu sein.

Sind die Deutschen sexuell verklemmt?
Ann-Marlene Henning: Das ist ein Weltproblem. Ich glaube, die Deutschen sind allerdings ein wenig extremer, was das Zugeben betrifft. Sie geben es nicht gerne zu, das etwas nicht stimmt. Die Skandinavier haben einen Galgenhumor, können sich selbst auf die Schippe nehmen und sind dadurch auch entspannter als die Deutschen. Auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Kuba, hat Sex einen hohen Stellenwert, man wackelt mit dem Becken. In Deutschland ist das eher verpönt.

Was haben die Deutschen alle gemeinsam in Sachen Sex?
Ann-Marlene Henning: Bloß nichts sagen. In Dänemark geht man zum Sexologen und es ist nicht so schlimm. In Deutschland macht man das nicht oder hinter vorgehaltener Hand.

Mit welchen Problemen werden Sie in Ihrem beruflichen Alltag am häufigsten konfrontiert?
Ann-Marlene Henning: Mit der Scham. Ich muss die Leute immer wieder davon überzeugen, dass sie über ihren Schatten springen und über ihr Problem reden. Am häufigsten habe ich mit
Orgasmusproblemen bei Frauen oder mit Männern mit Erektionsproblemen zu tun. Beide Geschlechter kämpfen natürlich häufig auch mit der Unlust.

Welcher war bislang Ihr außergewöhnlichster Fall?
Ann-Marlene Henning: Manche Klienten haben Fetische. Beispielsweise hatte ich einmal ein älteres Ehepaar. Der Mann erzählte, dass er eigentlich auf Lack und Leder steht und bei einer
Domina war. Seiner Frau hat er von seinen Neigungen nie erzählt. Aber wirklich außergewöhnlich ist es nicht!

Kann man vom Charakter eines Menschen auf dessen sexuelle Neigungen schließen?
Ann-Marlene Henning: Nein, überhaupt nicht! Feine ältere Herren tragen Damen-BHs oder dünne, feingliedrige Leute stehen auf harten Sex. Man kann es den Menschen nicht ansehen, worauf sie stehen.

Was machen Männer falsch?
Ann-Marlene Henning: Falsch ist ein schlechtes Wort. Männer fassen sich - im Gegensatz zu vielen Frauen - eben gerne selbst an und tendieren deshalb dazu, auf ihr berühmtes Teil fixiert zu sein. Sie erwarten von Frauen oft, dass sie sich um ihr bestes Stück kümmern und die Frauen denken irgendwie das Gleiche: Sie müssen sich kümmern. Ein grundlegendes Problem ist, dass beide Partner dadurch weniger Genuss erfahren, weil sich alles ums "Kommen" dreht. Das zweite Problem ist das "hemmungslose Rubbeln", das reicht irgendwann im Alter nicht mehr aus. Dann müssen die meisten Männer lernen, sich zu bewegen, ihre Hoden und den ganzen Körper langsam und genussvoll mit einzubeziehen.

… und Frauen?
Ann-Marlene Henning: Die gucken zu wenig bei sich selbst nach unten. Was merkwürdig klingt, ist aber die Realität. Viele Frauen können sich selbst nicht schmecken, nicht anfassen, nicht angucken. Sie konzentrieren sich auf ihren Partner und nicht auf sich selbst. Viele Frauen mögen Oralsex nicht, weil sie sich nicht damit auseinandersetzen und negative Gedanken mit dem eigenen Geschlecht verbinden. Sie lernen von Anfang an, dass sie sich nicht anschauen oder anfassen dürfen.

Erotik 2.0.: Sex via Skype: Was halten Sie davon?
Ann-Marlene Henning: Das finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Wenn man sich auf diese Weise treffen kann, wo man sich sonst nicht treffen könnte, ist das doch toll. Der Tipp ist doch ganz klar, sich zu trauen, sich anzufassen. Das ist sehr erregend, den Partner dabei zu beobachten, wie er sich selbst anfasst.

Weitere Trends, die Sie beobachten?
Ann-Marlene Henning: Der Rückzug aus der Öffentlichkeit. Man will nicht mehr immer über Sex reden. Zudem ist da auch ein neuer Widerwille gegen körperliche Veränderung zu erkennen. Die Leuten sagen: Ihr könnt mir nicht mit dem Rasieren kommen, ich mache meine eigene Sache.

Wie wird sich das entwickeln?
Ann-Marlene Henning: Es ist eine Wellenentwicklung. Ich denke, dass die Menschen sich fürs Erste weiter zurückziehen und die Medien uns weiter überfluten. Größere Bewegungen zeigen, dass es zur Langsamkeit hingeht, weg von den kämpferischen Werten und weg vom "immer der Beste sein wollen", hin zu mehr Gefühl.

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