Bespitzelungs-Affäre erhitzt die Gemüter

Mitten in der Schlussphase des Bundestagswahlkampfs sorgt eine Affäre um die Videobeobachtung nordrhein-westfälischer Spitzenpolitiker für Furore. Die nordrhein-westfälische SPD fordert personelle Konsequenzen in der Staatskanzlei. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) müsse den Chef der Planungsabteilung aus der Regierungszentrale entfernen, verlangte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Carina Gödecke, am Donnerstag in Düsseldorf.

Düsseldorf. (lnw) Die gegenseitige Video-Beobachtung von CDU und SPD in Nordrhein-Westfalen zieht immer weitere Kreise. Jetzt müssen Justiz und Polizei klären, wie interne E-Mails aus der Staatskanzlei in die Öffentlichkeit gelangt sind. Die vom Nachrichtenmagazin "Focus" am Mittwoch online veröffentlichten Mails sollen belegen, dass der für die Regierungsplanung zuständige Abteilungsleiter der Staatskanzlei, Boris Berger, an der Videobeobachtung von SPD-Landes-Chefin Hannelore Kraft durch die CDU beteiligt war.

Von seinem Dienstcomputer in der Staatskanzlei soll er Anregungen zur Perfektionierung der Kraft-Überwachung an die CDU-Parteizentrale geschickt haben.

Die nordrhein-westfälische SPD forderte gestern Konsequenzen in der Staatskanzlei: Ministerpräsident Rüttgers müsse den Chef der Planungsabteilung aus der Regierungszentrale entfernen. Die Staatskanzlei bestreitet, an Bespitzelungsaktionen gegen SPD-Landesparteichefin Hannelore Kraft beteiligt gewesen zu sein. "Die Staatskanzlei hat niemanden bespitzelt, weder systematisch noch im Einzelfall", teilte sie mit. Rüttgers selbst äußerte sich nicht. Die Affäre hat unterdessen auch Staatsanwälte und Polizei auf den Plan gerufen.

Staatskanzlei bestreitet Beteiligung



Die Staatskanzlei ist über die Veröffentlichung empört. "Die Bespitzelung der Regierungszentrale ist ein ungeheuerlicher Vorgang", erklärte ein Regierungssprecher. Offenkundig werde ein bestimmter Mitarbeiter seit Jahren ausgespäht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) "Opfer der Bespitzelungsattacken ist". Die Staatskanzlei habe juristische Schritte eingeleitet. Zusätzlich ermittele das Landeskriminalamt. CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst, dessen Antwort an Berger ebenfalls veröffentlicht wurde, verlangt eine strafrechtliche Klärung. Das Ausspähen der Computer sei eine schwere Straftat.

Für die SPD belegen die Mails eine unzulässige Verquickung von Regierungs- und Parteiarbeit. Generalsekretär Michael Groschek spricht bereits in Anspielung auf den einstigen amerikanischen Watergate-Skandal von einer "Rüttgers-Gate-Affäre".

Die Sozialdemokraten wollen den Ministerpräsidenten vor den Hauptausschuss des Landtags zitieren, wo er erklären soll, was er von den Verabredungen zwischen der Staatskanzlei und der CDU zu einer systematischen Überwachung von Kraft gewusst habe.

Rüttgers, der mit seiner Rumänen-Schelte erstes "Opfer" der gegenseitigen Video-Mitschnitte geworden war, hatte in der vergangenen Woche versucht, die Wogen zu glätten. "Ich halte die gegenseitige Filmerei nicht für notwendig", sagte er der Tageszeitung "WAZ". Demokratische Parteien dürften sich nicht feindselig gegenübertreten. Die CDU, die professionelle Video-Teams zu den Wahlkampfauftritten von Kraft geschickt hatte, stellte darauf ihre Aktionen ein. Groschek hält diese Ermahnungen des Ministerpräsidenten, der sich in den Interviews gleich mehrfach auf SPD-Übervater Johannes Rau berief, für "heuchlerisch und verlogen". Die Grünen fühlen sich an die Zeiten von CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel in Schleswig-Holstein erinnert.

Grüne Erinnerungen an Uwe Barschel



Wie dort sei "jetzt offenbar auch die Staatskanzlei in NRW an der Überwachung der Opposition beteiligt", vermuten die Landesvorsitzenden der Grünen, Daniela Schneckenburger und Arndt Klocke.

Vorwürfe, die Staatskanzlei für Parteiarbeit zu missbrauchen, sind in Nordrhein-Westfalen nicht neu. Vor der Landtagswahl 2005 hatte die CDU dies der SPD vorgehalten, als ein Papier des Leiters der Planungsabteilung von Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) bekanntgeworden war. Darin hatte sich der Regierungsmitarbeiter Gedanken gemacht, wie die Parteiorganisation der SPD in Ordnung gebracht und Steinbrücks Popularität gesteigert werden könnten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort