Bewährungshelfer zieht Bilanz: "Im Eifeldorf wird heute genauso brutal zugeschlagen wie in der Stadt"

Daun/Trier · Werner Lonquich (65) ist seit fast 40 Jahren hauptamtlicher Bewährungshelfer für die Amtsgerichtsbezirke Daun und Trier - vier Jahrzehnte Arbeit mit einer oft nicht leichten "Kundschaft". Wenn Lonquich nun in den Ruhestand tritt, blickt er auf ein facettenreiches Berufsleben zurück.

 Blickt auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurück: Der Bewährungshelfer Werner Lonquich kann aus seiner 40-jährigen Amtszeit viel berichten. TV- Foto: Friedhelm Knopp

Blickt auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurück: Der Bewährungshelfer Werner Lonquich kann aus seiner 40-jährigen Amtszeit viel berichten. TV- Foto: Friedhelm Knopp

Daun/Trier. Als der Bewährungshelfer Werner Lonquich 1975 seinen Dienst als Bewährungshelfer antrat, war Deutschland noch geteilt: Der "Ostblock" mit seinen vielzähligen Völkern erschien fern wie der Mond, Westeuropa war als lose Wirtschaftsgemeinschaft von kontrollierten Staatsgrenzen durchzogen und Erfindungen wie PC, Internet, Mobilfunk oder Navi existierten höchstens in Sciencefiction-Romanen.

Unser Mitarbeiter Friedhelm Knopp hat mit dem erfahrenen Bewährungshelfer gesprochen.

In vier Jahrzehnten ist die Welt eine andere geworden. Hat sich das auf die Arbeit in dieser Zeit ausgewirkt?
Werner Lonquich: Vor 40 Jahren war Englisch angesagt, schon wegen der jungen Amerikaner aus Bitburg und Spangdahlem, die damals teilweise zu meinem Probandenkreis gehörten. Wenn damals einer gesagt hätte, dass 40 Jahre später Russischkenntnisse wichtiger sind, hätte man ihn als reif für die Anstalt erklärt. Aber so ist es heute.

Warum wird man Bewährungshelfer? Es gibt leichtere Aufgaben.
Lonquich: Bewährungshelfer war schon immer mein Wunsch. Du kannst hier frei, kreativ und unabhängig von festen Dienstzeiten handeln - wobei auch schon mal Wochenendeinsätze in Kauf zu nehmen sind. Interessant ist auch die ständige Zusammenarbeit mit den verschiedensten Institutionen. Das ist kein Job, bei dem man Punkt 8 Uhr anfängt und Punkt 16 Uhr der Griffel aus der Hand fällt.

Können Sie ungefähr abschätzen, wie viele Delinquenten Sie in den Jahren betreut haben?
Lonquich: Kann ich so nicht mehr, sondern nur auf die Statistik verweisen: Als ich 1975 im Amtsgerichtsbezirk Daun angefangen habe, hatte ich im ersten Jahresdurchschnitt zwölf Probanden in Daun und etwa 70 für den Bezirk Trier. Heute sind es dort rund 85 bis 90 Fälle pro Jahr. Zudem habe ich zuletzt noch etwa 20 Probanden aus dem Bezirk Trier betreut. Dazu muss gesagt werden, dass wir 1975 vier hauptamtliche Kollegen im gesamten Landgerichtsbezirk Trier waren - wenn ich nun aufhöre, sind es 16 Bewährungshelfer.

Gibt es einen Fall, den Sie nie vergessen werden?
Lonquich: 1975 wurde mir vom Landgericht Bonn ein 54-Jähriger zugeteilt, der nach 28 Jahren Haft begnadigt und gegen Auflage entlassen worden war. Nun wollte er zu seiner Familie nach Trier ziehen. 1947 hatte das Mainzer Schwurgericht den Mann wegen Mordes zum Tode verurteilt, was damals in Rheinland-Pfalz noch möglich war. Er wurde stattdessen aber zur Strafverbüßung nach Nordrhein-Westfalen überstellt. Der Mann führte nach seiner Entlassung ein völlig unauffälliges Leben.

Sie haben 40 Jahre lang unmittelbar die Auswirkungen der Strafrechtsprechung auf überführte Gesetzesbrecher beobachten können. Viele Deutsche glauben, dass Justitia heute oft zu gnädig mit Straftätern verfährt. Urteilen die Richter 2014 milder als noch Mitte der 1970er Jahre?
Lonquich: Das ist eine Stammtischmeinung. Es werden auch heute entsprechend strenge Urteile gefällt - wobei es zunächst auf die Sicht der jeweiligen Richter ankommt. Grundsätzlich milder wird heute jedenfalls nicht geurteilt.

Hat sich auch das Täterbild gewandelt? Wir wollen das Kind beim Namen nennen: Bei den Verurteilten ist heute der Anteil von Delinquenten, die aus den ehemaligen Ostblockländern stammen, besonders hoch.
Lonquich: Ich verweise auf das Thema "Russischkenntnisse" am Anfang. Tatsächlich war die Übersiedlerwelle aus dem Osten Anfang der 1990er-Jahre nicht folgenlos. Diese Menschen wollten hier ein besseres Leben führen. Zum Problem wurden oft die Jugendlichen dieser Familien - herausgerissen aus ihrer alten Umgebung und ohne deutsche Sprachkenntnisse.

Inzwischen hat sich diese Entwicklung in der dritten Generation abgeschwächt. Viele Kinder sind mittlerweile hier geboren und wachsen als Deutsche auf. Leider gibt es auch Leute, die sich nicht integrieren wollen und lieber unter sich bleiben. Das gilt für manche Ostübersiedler ebenso wie für Migranten aus dem arabischen Raum, die heute einen großen Teil unserer Probanden stellen.

Stimmen Sie der verbreiteten Meinung zu, dass die Gewaltkriminalität insgesamt gestiegen ist, aber auch die Intensität vieler Fälle? Werden Gewalttäter immer brutaler?
Lonquich: Ich muss sagen, dass dies leider zutrifft. Die Ursache sehe ich in der Verrohung im Medienangebot. Besonders Ballerspiele bleiben nicht folgenlos für Jugendliche. Metropolen wie Berlin, München oder Köln gelten in öffentlicher Sicht als Gewaltschwerpunkte. Doch täuschen Sie sich nicht: Im kleinen Eifeldorf wird - wenn es losgeht - heute genauso brutal zugeschlagen, getreten und gestochen wie in den Städten. Die heile Welt des Landlebens gibt es nicht mehr. Die legen dort eher noch eins zu, um es "denen in der Stadt zu zeigen".

Was würden Sie rückblickend vielleicht anders machen?
Lonquich: Anders? Schwer zu sagen. Aber was mich in den vergangenen Jahren störte, ist die steigende Zahl der Fälle. Ich hätte mir viel mehr Hausbesuche bei den Probanden gewünscht. Aber das geht schon wegen der Entfernungen im Raum Daun nicht mehr. Deshalb hatte ich Außendienstsprechtage in Daun und Gerolstein eingeführt.Extra

Werner Lonquich ist gebürtiger Trierer. Nach dem Schulabschluss im Jahr 1966 studierte er zunächst zwei Semester Architektur, wandte sich dann aber an der Fachhochschule Saarbrücken dem Fach Sozialarbeit zu. Nach dem Examen 1972 folgte ein einjähriges Referendariat bei der Jugendgerichtshilfe Berlin-Kreuzberg. Nächste Station war ab Oktober 1973 das damalige Sozial- und Jugendamt der Stadt Trier. Anfang 1975 wechselte Lonquich als Bewährungshelfer zum Landgericht Trier, wo er den Amtsgerichtsbezirk Daun und einen Teil des Amtsgerichtsbezirks Trier übernahm. In seiner 40-jährigen Amtszeit als Bewährungshelfer hat Lonquich acht Justizminister, drei Landgerichtspräsidenten und drei Amtsgerichtsdirektoren in Daun erlebt. f.k.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort