Bote aus der kleinen Welt

TV höchst persönlich zu Besuch bei dem Schriftsteller Jacques Berndorf

Ach ja, der Berndorf. Der mit der Pfeife. Und dem Grauschopf. Und der Joe-Cocker-Stimme. Der auf dem Dorf wohnt, seine Katzen und seinen Garten liebt, und überhaupt ziemlich genau so ist wie sein Krimiheld Siggi Baumeister. Was schreibt man über einen, von dem ohnehin alles schwarz auf weiß zu lesen ist? Und der auch noch jedem der Klischees entspricht, die über ihn verbreitet werden, jedenfalls auf den ersten Blick? Da sitzt Jacques Berndorf, der sich am Telefon mit seinem Familienstammbuch-Namen Preute meldet, an einem Wohnzimmertisch, der so kleinkrambelagert ist, dass die Kaffeekanne keinen Platz mehr findet, und lächelt milde. Wahrscheinlich über den Kollegen, der da mit seinem roten Notizbuch hantiert und angestrengt versucht, entsprechend seinem Berufsethos irgend etwas richtig Neues über das Objekt seiner Reportage herauszufinden. "Ich kenne ja beide Seiten der Medaille", sagt der Gastgeber zwischendurch. Jahrzehntelang war er Journalist, und was für einer. Top-Themen für Top-Magazine hat er gemacht, für die ersten Adressen im Lande. Immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte, nach der Wahrheit hinter der Fassade, nach dem Sein hinter dem Schein. Und jetzt ist er selbst von öffentlichem Interesse, jetzt klingelt schon mal ein "Lothar aus Oberhausen" an der Tür in Dreis-Brück und will "nur mal sehen, wie du aussiehst".Wenn Lothar aus Oberhausen klingelt

Wenn Michael Preute von seiner späten Prominenz erzählt, mischen sich in seiner Stimme Verwunderung über die Chuzpe mancher Fans, milder Ärger über bisweilen lästige Nebenwirkungen und - Stolz. "Klar kitzelt das auch die eigene Eitelkeit", räumt er ein. Wahrscheinlich gilt das auch für Interviews, wenn sie ihm gegenüber sitzen, seine Job-Nachfolger, und die Wahrheit über ihn herausfinden wollen, oder doch wenigstens ein bisschen an der Fassade des "Eifel-Oberkulturträgers" kratzen, wie er sich selbstironisch bezeichnet. Das Zimmer lenkt immer wieder vom Gespräch ab. Massenweise Bücher, massenweise Bilder, Hüte, Pfeifen. Hier herrschen Fülle und Durcheinander, aber nicht jene Art von Chaos, die vermuten lässt, der hier Wohnende sei einfach seit längerem nicht mehr zum Aufräumen gekommen. "Das ist kein typisches Eifel-Wohnzimmer, hier wird wirklich gelebt", spottet der Dichter. Erstaunlicherweise haben die Eifeler, die mentalitätsmäßig nicht gerade zur zerknirscht-kritischen Selbstbespiegelung neigen, akzeptiert, dass der aus Schimanski-Land Zugereiste seit 22 Jahren an ihren Juckepunkten kratzt. Sie haben ihn lieb gewonnen, ernennen ihn zum Ehrenwachtmeister, bitten ihn zur Mitternachtspredigt in ihre Kirchen - mal sehen, wie lange es dauert bis zur ersten Ehrenbürgerschaft. Der so Estamierte schwankt zwischen intellektueller Hybris ("eigentlich ist das doch alles Blödsinn") und einer subtilen Art von Rührung. Tatsächlich: An seiner Ausgeh-Jacke prangt ein Werbe-Button mit dem Eifel-"e". Nicht der einzige Widerspruch in Sachen Berndorf/Preute. Da ist immer noch eine Spur von dem jungen Revoluzzer, der einst wegen "Aufsässigkeit und aktivem Desinteresse" (!) von der Schule flog, der mit seinen Reportagen die Welt verändern wollte und dessen Unmut über gesellschaftliche Missstände auch nach seinem 70. Geburtstag weder zu überhören noch zu überlesen ist. Aber da ist auch der scheinbar altersweise Autor, der das Plakat mit der Aussage "Ich habe längst aufgegeben, irgendwas bewegen zu wollen" so demonstrativ vor seine Brust hält, dass es wie ein Schutzschild wirkt für die tatsächlichen Gefühle. Und noch eine offene Frage: Warum lebt jemand, der in der ganzen Welt unterwegs war, in einem Dorf, das hinter so vielen Kreuzungen liegt, dass man besuchswillige Freunde mit einer Anfahrtsbeschreibung versehen muss? Das Haus sei "einfach praktisch", antwortet Preute mit betontem Pragmatismus, immerhin habe er "17 000 Bücher und 300 Pfeifen unterzubringen". Überhaupt sei die Abschiedenheit "ideal für einen, dessen Job das Schreiben ist". Aber dann sagt er auch einen wichtigen Satz über den Kosmos, in dem er lebt und über den er schreibt: In dieser "kleinen Welt" würden "Probleme wenigstens ab und zu gelöst". Wahrscheinlich so, wie Siggi Baumeister seine Fälle löst: ohne Förmlichkeiten, ohne Sinnhuberei, ohne intellektuelle Taschenspiele. Da passt es, dass sich Michael Preute als "Unterhaltungsschreiber" bezeichnet und sich dagegen wehrt, "dass man mir immer Literatur unterschieben will". Dass ihn Literaturkritiker auch schon mal heftig verreißen, macht ihm dann logischerweise nicht sonderlich zu schaffen. Am Ende hat er doch recht viel über sich erzählt. Von seiner schweren Krankheit im letzten Jahr, als er im Trierer Brüderkrankenhaus an der Herz-Lungen-Maschine hing und der Arzt ihn beim Aufwachen mit der Frage begrüßte: "Na, wollen wir weiterleben?" Von dem bangen Gefühl, wenn er ein Buch "abliefert wie ein Baby" und nicht weiß, was daraus wird. Von dem Frust, als das Fernsehen einen seiner Romane verhunzte ("Da fühlt man sich bestohlen"), und von der Vorfreude auf seiner Theater-Erstling "Eifel-Frieden", der am kommenden Samstag im Trierer Theater Premiere feiert. Von dem tollen Gefühl, bei einer Lesung einen 200-Personen-Saal zu erobern, und von seinem unterkühlten Verhältnis zum Geld. Auf der investigativen Suche nach doppelten Böden und geschickt hinter freundlicher Fassade getarnten Unarten ist man freilich auch nach zwei Stunden vergeblich. "Wir Journalisten" (so sagt auch Preute noch gerne) neigen zwar dazu, so etwas nicht für möglich zu halten, aber: Vielleicht ist der Mann einfach authentisch. Preute? Berndorf? Baumeister? Egal. Schön, dass wir so einen in diesem Landstrich haben. Dieter Lintz

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