Der Fluss der Erinnerung

Fast einen Meter dick sind die tragenden Holzstämme des Hauses, Douglasie aus dem bayerischen Wald. Das Holzhaus versprüht Wärme und Behaglichkeit, trotz der dicken Balken. Aus dem lichtdurchfluteten Wohnzimmer mit dem großen Kamin in der Ecke genießt der Besitzer des massiven Holzhauses den unverbaubaren Blick auf dunkle Wälder - und tief im Tal rauscht der Fluss.

Idylle pur, Natur pur - ein Lebenstraum wurde im Eifel-Ort Hüttingen (bei Bitburg) vor neun Jahren Realität für den Naturburschen Werner Jondral. Der heute 74-Jährige war sein ganzes Leben der Natur eng verbunden, und genießt seinen Lebensabend in der Natur. Ein bisschen wie Kanada, ein bisschen wie Wildnis - und im Dach des Car-Ports lagern noch vier Kajaks, falls es Jondral noch einmal auf die Kyll oder einen anderen Fluss zieht, seine große lebenslange Abenteurer-Leidenschaft.

Zwischen 1972 und 2003 hat Jondral auf seinen insgesamt 44 Expeditionen auf vier Kontinenten Orte gesehen, die kaum ein anderer Mensch je erblickt hat. Zahllose Fotos dieser Reisen zieren das Treppenhaus, 30 000 Dias lagern noch in seinem Filmstudio in Wittlich. Seine Liebe galt den wilden kanadischen Flüssen, aber auch Südamerika, besonders Mexiko. Er war im arktischen Eis, kämpfte sich mehrere Wochen lang durch die Libysche Wüste, erkundete im Kajak Flüsse in Nordamerika, machte die "Bekanntschaft" von Eisbären, Moschus-Ochsen und vielen fremden, unberührten Kulturen - und wäre zweimal fast ertrunken und überlebte nur knapp einen Flugzeugabsturz. 19 Filme drehte er über seine Expeditionen, viele wurden im Fernsehen ausgestrahlt, für sein Meisterwerk "Unter der Jaguarsonne" über die Kultur der Maya wurde er vom mexikanischen Präsidenten ausgezeichnet.

Der Ursprung des Abenteurer-Lebens liegt im Jahr 1970, als Jondral von einem Schulfreund, der nach British Columbia ausgewandert war, zu einer dreieinhalb-monatigen Expedition durch die Weiten Kanadas eingeladen wurde. "Den Expeditionstrieb hatte ich schon immer im Blut", sagt der frühere Besitzer mehrerer Autobahn-Raststätten. Aber die Wurzeln seiner Naturverbundenheit liegen in seiner alten Heimat Ostpreußen. 1935 wurde er in Eschenwalde geboren - und bis zum Sommer 1944 war die Welt für den kleinen Werner rundum in Ordnung. Sein Vater Wilhelm, ein ehemaliger Bergmann, der im Ruhrgebiet zwei schwere Grubenunglücke überlebt hatte, und deswegen als Invalider nicht in den Krieg ziehen musste, begleitete Werner immer wieder auf Wanderungen und Bootsausflügen durch die Natur Masurens. "Wälder, Flüsse und Natur waren der wichtigste Bestandteil meines Lebens", erinnert sich Jondral. Immer wieder war er auch an der Seite seines Großvaters mit einem alten Boot über den Fluss Omulef gefahren, zu einem alten Haus, das den Jondrals schon zu Zeiten des ersten Weltkriegs als Unterschlupf gedient hatte.

Und diese karge, im Wald versteckte Hütte inspirierte den Expeditionsleiter und Abenteuerfilmer nun zu seinem ersten, gerade veröffentlichten Buch. "Das alte Haus am Omulef" erzählt die Geschichte der tragischen, fast tödlichen Flucht der Familie aus Ostpreußen auf die Insel Fehmarn (siehe Extra). "Auf Fehmarn kamen wir zur Ruhe", erzählt Jondral, "dort haben mein Vater und mein väterlicher Freund Werner von Falkenstein mir all' die Geschichten unserer Familie in Ostpreußen erzählt, die ich nun im Buch verarbeitet habe." 1992, nach dem Fall des eisernen Vorhangs, kehrte Jondral zum ersten Mal an die Orte seiner Jugend zurück - und war beeindruckt. "Die Polen, die in den vormals deutschen Dörfern angesiedelt worden waren, hatten nicht das Geld, die ursprüngliche Landschaft zu verändern, alles war noch wie damals." Bei seiner zweiten Reise nach Masuren im Jahr 2004 reifte die Idee zu seinem Buch, er begab sich auf Spurensuche der Jondrals, und auf die Suche nach dem alten Haus am Omulef.

"Ich habe viele Menschen getroffen, die sich an meinen Großvater erinnerten - und die mir viele alte Geschichten erzählten", sagt Jondral, der erst vor wenigen Wochen mit seiner Familie erneut in Masuren war. "Mittlerweile beginnt man damit, die Region touristisch zu erschließen, aber die Naturschönheit ist geblieben. Zu vielen Orten, die im Buch beschrieben sind, führen keine Straßen, es gibt nur Wanderwege entlang der Flüsse und Seen, quer durch die dunklen Wälder", berichtet Jondral, der sein Buch auch als "Liebeserklärung an meine Heimat" bezeichnet.

Warum er das Buch aber erst 65 Jahre nach der Flucht - er lebte und arbeitete von 1959 bis 2000 in Wittlich - schrieb, hat einen einfachen Grund: "Ich hatte aufgrund der Expeditionen und der Filme überhaupt keine Zeit zum Schreiben. Jetzt habe ich sie." Jondral plant gerade sein nächstes Buchprojekt - über seine Expeditionen. "Es wird aber kein Reisebericht, ich versetze mich 100 Jahre zurück, in die Zeit, als noch kein Abenteurer die entlegen lebenden Naturvölker zu Gesicht bekommen hatte." Dann wird Jondral - allerdings nur bei Regen wie bei "Das alte Haus am Omulef" - wieder in seiner Schreibecke auf der Empore des Wohnzimmers sitzen und schreiben.

Eine 45. Expedition ist nicht in Planung. "Ich fühle mich zwar noch nicht wie 75. Aber ich bin auch nicht mehr so austrainiert wie früher, bin nicht mehr der Jondral von vor 20 Jahren." Dennoch spielt er auch heute noch Tennis - Jondral war jahrzehntelang Präsident des Tennisclubs Wittlich sowie im Vorstand des FSV Salmrohr -, eher seltener sind seine Kajak-Touren geworden.

Der Eifel wird er treu bleiben - auch wenn seine "wahre Heimat" weiterhin Ostpreußen bleibt. "Auswandern war nie ein Thema", sagt Jondral. Und mit dem Blick aus seinem Holzhaus kann er sich aussuchen, ob ihn der dunkle Eifeler Wald eher an Kanada oder an Masuren erinnert. Nur das "alte Haus am Omulef" gibt es an der Kyll nicht. Es bleiben nur die Erinnerungen. Björn Pazen

Extra "Das alte Haus am Omulef" ist ein autobiografischer Roman und beschreibt die Jugend Werner Jondrals im masurischen Dorf Wessolowen. Sehr plastisch beschreibt der Autor die Naturschönheit, sehr drastisch die Flucht vor der Roten Armee im Jahr 1944. "Das Buch ist eine Anklage gegen alle Kriege", sagt Jondral: "Aber es versucht deutlich zu machen, dass die Verbrechen der Russen gegen das deutsche Volk genauso grausam waren wie die Verbrechen, die das deutsche Volk verübt hat." Im Winter gelingt der Familie gerade noch die Flucht über das Frische Haff ins sichere Fehmarn, während Hunderttausende Ostpreußen ihr Leben ließen, von den Russen verschleppt, vergewaltigt oder getötet wurden. "Das alte Haus am Omulef" glänzt durch die genauen Beschreibungen - und verdeutlicht durch seine naturnahen Erzählungen, warum Jondral schließlich zum Expeditionsleiter und Abenteuerfilmer wurde. Es beschreibt aber auch die vielen Schicksale von Verwandten, Freunden und Bekannten, die den Krieg nicht überlebt haben - und endet mit der Erkenntnis: "Wir haben unsere Heimat für immer verloren." Werner Jondral stellt sein Erstlingswerk in Lesungen in den kommenden Wochen vor. Am Freitag, 11. September, um 19.30 Uhr liest der Autor aus "Das alte Haus am Omulef" im Casino Wittlich, am Montag, 14. September um 19.30 Uhr im Haus Beda in Bitburg und am Montag, 28. September um 19.30 Uhr im Forum Daun. Weitere Lesungen in der Region folgen im Oktober. (BP) Werner Jondral: Das alte Haus am Omulef - Verwehte Spuren Ostpreußen, 256 Seiten, Schardt Verlag, 16,80 Euro

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