"Der gute alte Verein vermittelt nicht das richtige Gefühl"

TRIER. Sport ist für viele Kinder und Jugendliche Teil eines Lebensstils. Das sagt der Trierer Soziologe Dr. Waldemar Vogelgesang. Die Sportvereine stehen vor der schwierigen Aufgabe, dem gerecht zu werden.

Die These, dass Kinder zu wenig Sport treiben, hält sich in der öffentlichen Meinung hartnäckig. Die Studien sagen etwas anderes. Sport ist für Jugendliche bis etwa zum 16. Lebensjahr eine der wichtigsten Freizeitbeschäftigungen, für Kinder bis 12 Jahre sogar die wichtigste. Wie erklären sie sich diese Diskrepanz?Vogelgesang: Die öffentliche Diskussion ist von einem Sportverständnis bestimmt, das noch aus Turnvater Jahns Zeiten stammt: Sport ist Vereinssport. Fun-, Straßen- und Risikosportarten passen nicht zu dieser Vorstellung. Gerade sie stehen bei den Kindern und Jugendlichen hoch im Kurs. Die immer wieder verbreiteten Ängste über die Sportmüdigkeit der jungen Generation sind unbegründet. Ihre sportlichen Aktivitäten haben eher zu- als abgenommen. Fakt ist aber auch: der Vereinssport hat vielerorts akute Nachwuchssorgen. Von der gestiegenen Sportnachfrage werden am stärksten die Sport-Szenen profitieren. Stützen Sie diese Einschätzung? Vogelgesang: Der Trend zu selbst organisierten, vereinsunabhängigen Freizeitaktivitäten ist Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung in unserer Zeit: der wachsenden Eigengestaltung aller Lebensbereiche durch den Einzelnen. Funsportarten wie etwa Skaten oder Streetball zeigen auch im Sport die neue Entwicklungsrichtung an. Man verlässt die angestammten Sporträume und erobert sich neue. Wie wird sich das Sportverständnis von Kindern und Jugendlichen in der Zukunft verändern? Vogelgesang: Gerade für die heutigen Jugendlichen ist der Sport häufig ein Teil eines ganzen Lebensstils, zu dem auch geeignete Musik, coole Plätze und hippe Klamotten gehören. Der gute alte Verein mit seinen uniformierten Trainingsanzügen und dem altbackenen Sportheim vermittelt nicht das richtige Gefühl. Gesundheitsbewusstsein, Wellness, Selbstverwirklichung: Hat das Auswirkungen auf die Beweggründe Jugendlicher, sich sportlich zu betätigen? Vogelgesang: Welchen Stellenwert die Sorge um und die Arbeit am eigenen Körper gewonnen haben, zeigt vor allem der Zuspruch, den bei jüngeren Menschen Fitness-Studios finden. Mit tatkräftiger Unterstützung des Jugendlichkeitskults in der Werbung wird suggeriert: Hier kann jeder seinen Körper zum Modell-Körper formen. Viele erleben dort aber nicht selten eine herbe Enttäuschung, wenn sie merken, dass der eigene Körper sich so gar nicht in einen Idealkörper verwandeln lassen will. Was heißt das für den klassischen Sportverein? Vogelgesang: Der Sportverein alter Prägung wird sich wohl auf Dauer darauf einstellen müssen, dass er nicht mehr alle Jugendlichen anspricht. Aber den Rest - es sind immerhin noch rund 40 Prozent eines Jahrgangs - mit attraktiven Angeboten zu versorgen, ist schon Aufgabe genug. Und welchem Sportverein es gelingt, alte und neue Sportelemente miteinander zu verbinden, wird sicherlich so manchen Jugendlichen zurück gewinnen können. Aber den Sportvereinen sollte auch nicht allzu Bange sein, denn bei jungen Menschen ab Mitte 20 steigt die Zahl der Vereinseintritte wieder deutlich an. Die Fragen stellte unser Redakteur Mirko Blahak.

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