Der Intendant auf dem Gabelstapler

MERZIG. In der nächsten Woche öffnet sich im Merziger Opernzelt der Vorhang für die spannendste Spielzeit seit langem. Gleich drei Produktionen gehen in Serie, den Auftakt macht am 19. Mai die "Dreigroschenoper".

Das Ambiente könnte einem Möbelflohmarkt entstammen, allerdings einem von der ärmeren Sorte. Marode Kommoden und Kleiderschränke im 60er-Jahre-Look, Fernseher aus der Schwarz-Weiß-Ära, abgetragene Koffer: Im Merziger Opernzelt stapelt sich Plunder. Man spielt eine Bettler-Oper, und zumindest bei den Proben sieht auch alles danach aus. Auch die eisigen Temperaturen im Zirkusrund stimmen das Ensemble angemessen auf die Atmosphäre im Londoner Armen- und Rotlichtviertel Soho ein, wo die "Dreigroschenoper" von Kurt Weill und Bertolt Brecht spielt. Ein junger Mann trägt einen Schweinwerfer herein und hellt das Halbdunkel auf. Der Kulissenschieber entpuppt sich später als Mackie Messer. Die komplette Darsteller-Truppe installiert innerhalb weniger Minuten das Bühnenbild. Spätestens nach der Premiere wird man wissen, ob hier Brecht'sches Anti-Illusionstheater praktiziert wird oder ob das Bühnenpersonal bei den Proben einfach eingespart wurde. Der Chef jedenfalls will bei so viel handwerklichem Engagement seiner Akteure nicht zurückstehen. Joachim Arnold, Intendant, musikalischer Leiter und Eigentümer des Opernzelts, vermag augenscheinlich nicht nur ein Orchester, sondern auch einen Gabelstapler pannenfrei zu lenken. Kunstfertig steuert er mächtige Kulissenteile über die Hinterbühne. Die Dekoration stammt von Jean Bauer, einem profilierten Bühnenbildner mit reichlich Film- und Theatererfahrung. Filme wie Agnes Vardas "Vogelfrei" hat er ausgestattet, aber auch Opernproduktionen mit Mark Minkowski. Nun holt er gemeinsam mit Regisseur Christian Colin eine französische Lesart in das "Stück mit Musik", das vor 76 Jahren in Berlin uraufgeführt wurde. Colin ist Schauspieler an der "Comédie Française" in Paris, aber seit vielen Jahren auch ein renommierter Regisseur an etlichen französischen und deutschen Bühnen. Er hat mit Theaterlegenden wie Ariane Mnouchkine gearbeitet und bringt französische Kooperationspartner in die Merziger Produktion ein. An diesem Proben-Abend allerdings fehlt er - "Ach ja, die Franzosen und die Termine", grinst Joachim Arnold. Aber es geht auch so. Die Sänger und Schauspieler entledigen sich der Mäntel und Schals und entschwinden in das Londoner Unterwelt-Milieu. Das neunköpfige Orchester muss man sich einstweilen noch dazu denken, die Proben bestreitet Arnold alleine am Klavier. Und doch kann man sich schon plastisch vorstellen, wie es klingen wird, wenn der Moritatensänger von Haifischzähnen singt, wenn die Seeräuber-Jenny vom "Schiff mit acht Segeln" träumt oder Polizeichef Tiger-Brown den "Kanonen-Song" intoniert.Schauspieler und Sänger aus ganz Deutschland

Die Akteure für seine Produktion hat Joachim Arnold aus ganz Deutschland geholt. Peter Zimmermann und Birgit Bücker glänzten als Ehepaar Peachum in Karlsruhe, ihre Tochter Polly alias Serena Gruß kommt aus Berlin. Bei Mackie Messer setzt Merzig auf Lokalpatriotismus: Ansgar Schäfer machte als Valjean-Co-Besetzung in den Saarbrücker "Misérables" auf sich aufmerksam. Trierer Theaterfans dürfen sich auf ein Wiedersehen mit Bettina Kehle (Lucy) freuen, am Augustinerhof einst frenetisch als Julia und Gretchen gefeiert. Verheißungsvoll die Besetzung der Jenny mit Edda Petri, die Trier als Elisabeth Proctor in der begeisternden "Hexenjagd" gastierte. Die Proben-Kulissen im Opernzelt werden derweil wieder zurückgeschoben. Von nebenan, aus dem Catering-Zelt, klingen klassische Töne: Dort laufen schon die Vorarbeiten für "Così fan tutte" im Sommer. Und die Rock-Oper "Gormenghast" wird auf dem Saarbrücker Messegelände geprobt. Viel zu tun für den Gabelstaplerfahrer. Vorstellungen "Dreigroschenoper" am 19., 21., 22. und 23. Mai sowie zwischen dem 16. und 27. Juni. Karten: 0681/992680, bei allen CTS-Vorverkaufsstellen oder www.musik-theater.de

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