Ellwangen Der Rechtsstaat schlägt zurück

Ellwangen · Mit einer Großrazzia reagiert die Polizei in Ellwangen auf eine gewaltsam blockierte Abschiebung. Der Fall empört die Politik.

Hunderte Polizisten und bewaffnete Spezialkräfte besteigen Transporter. Viele tragen Sturmhauben. Im Schutz der Dunkelheit fahren sie in der Nacht zu gestern zur einstigen Reinhardt-Kaserne am Rande der beschaulichen schwäbischen Stadt Ellwangen. Es ist früh am Morgen, als die Polizisten aussteigen und die Unterkünfte der Asylbewerber umzingeln. Dann kommt der letzte Befehl zum Start des Einsatzes noch vor dem Morgengrauen. Er wird zu einer Machtdemonstration des Rechtsstaates.

Mit einer Botschaft, die allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer betont: so nicht. Gewalttätiger Widerstand von Flüchtlingen gegen die Polizei müsse „mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden“, sagt er. Was sich am Montag in der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen bei der gescheiterten Abschiebung eines 23-jährigen Mannes aus dem westafrikanischen Togo abgespielt hat, nennt der CSU-Politiker einen „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“.

Zwischen 150 und 200 Afrikaner leisteten Widerstand gegen die Abschiebung des Togoers. Sie schlugen auf Streifenwagen ein und bedrängten Polizisten. „Rückzug!“, lautete wenig später der Befehl, den das zuständige Polizeipräsidium in Aalen später autorisiert. Die Beamten nahmen dem Mann aus Togo die Handschellen ab, er wurde notgedrungen freigelassen – und floh.

Der Rückzug sei absolut richtig gewesen, sagt gestern Polizeivizepräsident Bernhard Weber. Seine Polizisten hätten sonst wohl gar ihr Leben riskiert, es hätte viele Verletzte geben können. In einer „so aggressiven und gewaltbereiten Ausnahmesituation“ habe man nicht anders gekonnt.

Bundesweit löst der Fall politische Empörung aus. Die Polizei bekommt Rückendeckung für ihre Großrazzia – nicht nur von Seehofer, auch von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). In Berlin fordert die Opposition Konsequenzen von der Bundesregierung. Aus der FDP werden Mahnungen an Seehofer laut, rasch ein „schlüssiges“ Sicherheitskonzept“ für die geplanten Ankerzentren für Flüchtlinge vorzulegen. Sammelunterkünfte generell wieder in Frage zu stellen, fordern die Grünen. Und die AfD spricht von Behördenversagen und fordert, alle Widerständler zu inhaftieren und abzuschieben.

In Handschellen abgeführt werden mehrere Männer am frühen Morgen in der Landesaufnahmestelle in Ellwangen – nach der Großaktion der Polizei. Gegen 27 Verdächtige wird den Angaben zufolge wegen mutmaßlicher Widerstandshandlungen weiter ermittelt. 15 Bewohner werden in andere Einrichtungen verlegt – auch um offenkundig in Ellwangen entstandene Gruppen gewaltbereiter Flüchtlingen aufzulösen. Der gesuchte Togoer ist unter den vorläufig Festgenommenen. Ihn trifft wohl noch am wenigsten eine Schuld. Einsatzleiter Peter Hönle sagt, er habe sich ohne jeden Widerstand festnehmen lassen, bereits am Montag habe er selbst sich nicht widersetzt. Andere hätten den Aufstand gegen die Polizei initiiert – und wohl auch zielgerichtet vorbereitet.

Die „böse Überraschung“ eines organisierten Widerstands von Flüchtlingen gegen deutsche Sicherheitsbeamte ist nach Einschätzung aller Beteiligten die eigentliche erschreckende Dimension des Geschehens in Ellwangen. Unter einer Gruppe von Schwarzafrikanern, sagt Weber, hätten sich „Strukturen entwickelt“, mit denen Behördenmaßnahmen verhindert werden sollten. Es sei damit quasi ein „rechtsfreier Raum entstanden“.

Vor allem diese Erkenntnis führt gestern zu dem massiven Einsatz – durchaus nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Dazu sagt der Einsatzleiter: „Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man die Polizei mit einer organisierten Übermacht in die Flucht schlagen kann, hätte das verheerende Folgen.“ Von künftig mehr Beamten bei Abschiebungen ist die Rede. Und: „Wir werden abschieben – ohne Wenn und Aber“.

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