Der Rock um den Ring

Es ist laut wie die Formel 1. Es ist cool wie Whiskey on the Rocks. Und so rockt es auch. Jahr für Jahr pilgern mehr als 50 000 Menschen in die Eifel, um drei Tage lang den Nürburgring in eine wahre Spiel-Hölle zu verwandeln.

In diesem Jahr wird Jubiläum gefeiert: Seit 20 Jahren gibt es „Rock am Ring“. Der Ring naht. Es ist Jahr um Jahr dasselbe Ritual. Ein gelungenes „Rock am Ring“-Wochenende beginnt mit Stau. Mit Gedrängel. Auf der Straße. Auf dem Parkplatz. Auf dem Campingplatz. Einmal im Jahr wird ein geheimer Befehl an alle Rocker und solche, die es werden wollen, ausgesendet: „Du musst in die Eifel. Jetzt. Sofort.“ Und alle folgen. Immer zur selben Zeit. Aber gut gelaunt – denn schließlich ist man hier versammelt, um das wahrscheinlich coolste Wochenende des Jahres zu verbringen. Anknüpfen an Woodstock Fans aller möglichen (und auch unmöglichen) Bands treffen aufeinander, tasten sich ab, lernen sich kennen. Zelte werden aufgeschlagen, Bierflaschen geköpft, Eiswürfel für den Whiskey ausgewickelt. Das Wochenende kann beginnen.

Es ist wieder „Rock am Ring“. Der Herr des Rings. Marek Lieberberg heißt er, und seit 20 Jahren holt er Jahr um Jahr die Götter aus dem Rockolymp herunter, um sie in die Eifel zu bringen. „Wir wollten an die Tradition der historischen Open-Airs wie Woodstock oder die legendären britischen Rock-Meetings Anfang der 70er-Jahre in Speyer anknüpfen“, sagt Marek Lieberberg. Das gelang ihm. Schon im ersten Jahr schmückten Joe Cocker, Chris de Burgh oder Westernhagen die zentrale Riesenbühne. Es ist wie eine Zeremonie: Das Herz des Besuchers pocht heftiger, wenn er sich der Michelin-Brücke nähert. Durch diese hohle Gasse muss er kommen, die Bässe wummern dem Bauch bereits erwartungsvoll entgegen, nur noch wenige Schritte. Dann – nach Abtastereien durch die Security – darf der Fan endlich aufs riesige Gelände. Darf sich gehen lassen und Party machen – und mit ziemlicher Sicherheit zuerst einmal das Regencape auspacken. Der Ring nässt. Es ist Jahr um Jahr dasselbe Schicksal.

Der Wettergott ist ein Rocker und wird wohl immer wieder mächtig ins Schwitzen kommen. Woher sonst sollen all die Tropfen kommen, die sich pünktlich zum Festivalbeginn auf die Besucher ergießen? Ein „Rock am Ring“ ohne Regen ist fast undenkbar. Und das ist auch gut so. „Die Fans warten ja richtig auf schlechtes Wetter“, sagt Manfred Strack lachend. Er ist bei der Nürburgring GmbH angestellt und Leiter der Außenorganisation. Ganz übel wurde es, als das Festival vorübergehend aus dem Fahrerlager in die Müllenbachschleife verlegt wurde. „Ach du je, das war die Krönung“, erinnert sich Strack beim Rundgang übers Gelände. „Da sind wir regelrecht ertrunken.“ Asphaltiert war nur der Untergrund der Bühne, ansonsten standen die Zigtausenden in der matschigen Wiese. Eine Schlammschlacht. Ob damals eine inzwischen beliebte Tradition geboren wurde? „Ich sehe immer wieder Besucher, die sich eine Matschrutsche bauen“, erzählt Strack lachend. Schön glitschig und ekelig muss die Strecke sein, natürlich abschüssig. Und dann wird sich munter auf eine Mülltüte gehockt und den Abhang runtergesegelt – hei, was für eine Gaudi. Der Ring scheint auch nur Extreme zu kennen. Denn wenn die Sonne ordentlich runterknallt, dann kommen die Sanitäter kaum noch nach. „Die verbrauchen dann eine ganze Menge Melkfett“, verrät Strack. Ein gutes, altes Hausmittelchen gegen Sonnenbrand ...

Der Ring feiert. Rocken und campen gehören einfach zusammen. Früher geschah dies noch im geordneten Chaos. Da wurde der liebevoll restaurierte Viertakter mitten auf der Wiese geparkt, das Zelt nebendran aufgeschlagen und durchgefeiert. Doch dann wuchs die Zahl der Besucher beständig, und irgendwann kamen die Organisatoren auf die Idee, die Autos gleichsam aus den Schlafsäcken zu entfernen. Jetzt übernachten die Autos auf einem eigenen Areal – mit dem Erfolg, dass plötzlich bei den menschlichen Schläfern viel mehr Platz ist. Und seitdem das Ticket fürs Campen gekoppelt ist mit dem Eintritt fürs Festival (und damit entsprechend mehr kostet), ist auch die Zahl der Schlägertrupps zurückgegangen, die früher nur zur Randale angereist waren. Am Eingang des Geländes erhebt sich das Dorint Novotel. Früher unterstützte die Hoteldirektion mit eigenen Bierzelten den Alkoholkonsum. Direktor Josef Moré erinnert sich: „Als ich eines Abends in einem Zelt nach dem Rechten sah, fuhr plötzlich einer der Betrunkenen vom Boden hoch. ,Ey, du Spinner!“, hat er mich angebrüllt, weil ich im schicken Anzug durchs Zelt gelaufen bin. Ich habe zurückgerufen: ,Halt die Klappe, sonst sauf ich dir den Fusel weg.' Worauf er ganz überrascht meinte: ,Ey, Alter, du bist okay. Du darfst weitergehen.'“ Und Moré lacht schallend.

Der Ring der Promis. In verdunkelten Bussen, so genannten Nightlinern, fahren sie vor. Die Götter des Rocks. Blitzschnell, ungesehen. Sie machen ein Nickerchen in ihren vornehmen Zimmern oder gehen schnurstracks in den Backstage-Bereich. „Rock am Ring hat stets die Crème de la Crème der Rockmusik präsentiert“, sagt Marek Lieberberg nicht ohne Stolz. Doch die angesammelte Crème entspricht so gar nicht dem Klischee der pöbelnden Rocker. „Es ist noch nie etwas in unseren Hotelzimmern passiert“, sagt Josef Moré lächelnd. Er hat auch vorgesorgt: Sollten die Stars in Zerdepper-Laune geraten, muss der Veranstalter für den Schaden aufkommen. „Wir sind hier eine große Familie geworden. Jeder kennt jeden, und das sorgt für eine ganz besondere Atmosphäre.“ Die auch für Gelächter sorgen kann.

Gratis-Rock von den „Hosen“

Wenn zum Beispiel Direktor Moré bei der Abschluss-Party am Sonntag einen Mann vor die Tür bugsiert, der mit einer Flasche Wasser in der Hand auf einem Sofa eingeschlafen war. „Nach einiger Zeit kam der Bandleader einer sehr bekannten Band zu mir und fragte fast schüchtern, ob denn ihr Chauffeur jetzt wieder reinkommen dürfe ...“ Der Ring bebt. Vor genialer Musik, vor dem Applaus der Fans. Und manche kriegen nie genug. Legendär ist die Geschichte, als die „Toten Hosen“ nach ihrem Auftritt plötzlich vor den Toren des Rings einen Truck „aufklappten“ und auf der kleinen Bühne 30 Minuten gratis rockten. Einfach so. Das ist einmalig, so etwas gibt es nur hier am Ring. Auf geht’s, zur großen Jubiläumsparty! Die Bässe wummern schon in der Ferne ...

Michael Defrancesco

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