Der Siegeszug des Roten

Phillip Kuhn aus der Pfalz war schon als Jugendlicher von seiner Idee überzeugt. Mit 16 Jahren pflanzte er auf einer kleinen Parzelle in Laumersheim bei Grünstadt erste Spätburgunder-Reben. Mit 20 übernahm er das elterliche Weingut, heute gehört er zu den besten Rotwein-Winzern Deutschlands. Er und einige seiner Kollegen brachen mit dem Vorurteil, dass Deutschland ein Weißweinland ist. Inzwischen erfreuen sich heimische Rotweine zunehmender Beliebtheit. Und mancher rote Tropfen genießt die Anerkennung internationaler Weinkenner. Der Siegeszug des deutschen Rotweins hält an. Darin sind sich die Autoren im Weinführer "Gault Millau" 2009 einig. Bereits in der Ausgabe für 2008 waren die Weintester überzeugt, dass die Qualitätsbewegung beim Roten eine breite Basis hat. "Unsere Spätburgunder brauchen den internationalen Vergleich nicht zu scheuen", sagt auch der Sommelier Matthias Dathan von dem Internetportal Weinfunatiker in Berlin. Die Tester des "Gault Millau" gehen noch weiter: "Neben Klassikern wie Frühburgunder und Lemberger kann es heute sogar mancher deutsche Cabernet Sauvignon, Merlot oder Syrah mit seinen internationalen Vorbildern aufnehmen." Es wird mehr Rot als Weiß getrunken



"Die Rotweinproduktion in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr dynamisch entwickelt", sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) in Mainz. Fast ein Drittel der Weinberge sind inzwischen mit dunklen Trauben bestockt. Der meiste Rotwein wird in den beiden größten Weinregionen Rheinhessen und Pfalz produziert, gefolgt von Baden und Württemberg. Die Winzer reagierten mit der Ausweitung auf die verstärkte Nachfrage. Inzwischen bedarf es keines festlichen Anlasses mehr, eine Flasche des roten Rebensaftes zu öffnen. Es wird mehr Rot als Weiß getrunken: "Von den Einkäufen privater Haushalte im Jahr 2007 waren 53 Prozent Rotweine und 39 Prozent Weißweine", erklärt Büscher. Beim Kauf heimischer Gewächse kommt Rot inzwischen zulasten der weißen Tropfen auf einen Anteil von 42 Prozent.

Die wichtigste blaue Traube ist hierzulande der Spätburgunder. Die Sorte aus der Familie der Burgunder gilt als Königin unter den Roten. Pinot Noir heißt sie im Ausland und ist traditionell das Aushängeschild des französischen Burgunds. Liebhaber lassen sich von der blassroten Farbe eines Spätburgunders nicht täuschen. Sie schätzen seinen Duft nach reifen Süßkirschen und Himbeeren sowie seine Finesse und den geringen Gehalt an Gerbstoffen. Da die früh austreibende Rebsorte kühlere Klimazonen bevorzugt, eignet sie sich besonders gut für den Anbau in hiesigen Gefilden. "Sie möchte nicht zu schnell reifen, sonst gehen ihre feinen Aromen verloren", erklärt Winzer Kuhn. Vor allem an der Ahr und in Baden spielt die kapriziöse Rebe im Anbau die erste Geige. Seit kurzem gilt ein Wein von der Ahr sogar als weltweit bester Spätburgunder.

Die höchste Spätburgunder-Auszeichnung des renommierten internationalen Weinwettbewerbs "World Wine Awards" der englischen Fachzeitschrift "Decanter" ging an das Weingut Meyer-Näkel. Eine der wichtigsten Triebfedern des deutschen Rotweinbooms war der wegen seiner tiefroten Farbe stark nachgefragte Dornfelder. Die Anbaufläche der deutschen Neuzüchtung von 1955 ist in den vergangenen 20 Jahren um das Dreizehnfache auf rund 8200 Hektar gewachsen. Dies ist ein Grund, warum der robuste Rotwein umstritten ist: "Bei Weinkennern ist der Dornfelder wegen der Masse unten durch", sagt Dathan. Doch Kuhn hält ihn für einen guten Alltagswein: "Die Rebsorte an sich kann nichts dafür, dass sie minderbegabten Winzern ausgesetzt ist." Er plädiert für geringe Erträge und traditionelle Kellerarbeit. Neben Spätburgunder und Dornfelder spielen Klassiker wie Portugieser, Schwarzriesling, Lemberger oder Frühburgunder weiterhin eine Rolle. Schwäbisches "Nationalgetränk" ist der unkomplizierte Trollinger, die häufigste Rebsorte in Württemberg. Rotweine sind ideal für die kühlere Jahreszeit. Kräftige mit Wacholder gewürzte Wildspeisen verlangen gerbstoffbetonte Weine wie Dornfelder. Zur Gans oder Ente passt ein Spätburgunder. Jugendliche, leichte Weine wie Portugieser oder Trollinger sollten bei 14 bis 16 Grad serviert werden. Reife, gehaltvolle Tropfen zum Beispiel aus dem Barrique vertragen gut bis 18 Grad. Heidemarie Pütz/dpa

Extra

Das Weinanbaugebiet Mosel ist die älteste deutsche Weinregion und gehört zu den klassischen Weinbaugebieten Europas. Mit derzeit knapp 9000 Hektar bestockter Rebfläche ist die Mosel das fünftgrößte der 13 deutschen Weinanbaugebiete. Etwa 5000 Winzerbetriebe bewirtschaften diese Fläche. Mehr als 90 Prozent der Produktion sind Weißweine. Rotweine - allen voran Spätburgunder und Dornfelder - gibt es seit Ende der 1980er Jahre wieder an Mosel, Saar und Ruwer. Rund 830 Hektar - etwa 9,5 Prozent der Anbaufläche - sind mit roten Rebsorten bestockt. Viele Betriebe an Mosel, Saar und Ruwer haben ihr Sortiment entsprechend ergänzt. Damit knüpfen sie an die Rotweintradition vergangener Jahrhunderte an, als an Mosel und Saar häufig Spätburgunder angebaut wurde. Riesling ist und bleibt aber die wichtigste Rebsorte der Region. (red)

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