Die Poesie der menschlichen Abgründe

Es kommt nicht so oft vor, dass sich Autoren eines Landes ein Denkmal setzen, indem Leser und Rezensenten ihnen eine eigene Gattung widmen. Nun ist das im Fall des hohen Nordens nicht besonders schwer: Man nehme besondere klimatische Bedingungen, einen melancholischen Menschenschlag und die Absicht, mit dem Vorurteil des Sozialstaats und der Fürsorge für jedermann ein für alle Mal aufzuräumen.

Fertig ist der Schweden-Krimi.

Wie in jedem hübsch anzusehenden Blumenbeet gibt es neben den edlen Sorten unweigerlich auch Unkraut. Wenn Altmeister Henning Mankell die preisgekrönte Rose ist, so ist Autor Arne Dahl die seltene und schwierige, weil anspruchsvolle Orchidee. In diesem Jahr ist Dahls siebter Roman ("Totenmesse") um eine schwedische Sonderermittlungsgruppe für Verbrechen von internationaler Tragweite - kurz A-Gruppe - in Deutschland erschienen. Das Erstaunlichste: Irgendwann nutzt sich jeder Kommissar, jede Ehekrise, jedes Alkoholproblem, jede innere Zerrissenheit zwischen Dienst und Moral, jede Täter-Opfer-Beziehung ab. Nicht so bei Arne Dahl. Nach jedem Band bleibt das Gefühl, dass noch nicht jede winzige Facette der Protagonisten bekannt ist. Dass da noch mehr ist.

Natürlich beinhaltet auch diese Krimireihe stärkere Bände ("Böses Blut", "Rosenrot") und schwächere ("Tiefer Schmerz"). Doch ich will noch mehr über die beiden Hauptfiguren, Paul Hjelm und Kerstin Holm, lesen. Genauso wie über die anderen Mitglieder der A-Gruppe, die im Verlauf der Reihe existentielle Wandlungen erleben und dabei doch glaubwürdig bleiben. Viggo Norlander beispielsweise: Einst ein Aufreißer vor dem Herrn, entwickelt er sich zum fürsorglichen Familienvater. Oder Gunnar Nyberg, der seine Aggression in einem früheren Leben gegen seine eigene Familie richtete - und nun den schmerzhaften Weg zu ihr zurück sucht. Dahls Figuren sind nicht perfekt. Sie sind davon so weit entfernt wie Schweden von Utopia.

Zugegeben: Es gibt leicht verdaulichere Kriminalromane. Dahl verlangt Geduld, wenn Personenkonstellationen oder Erzählstränge allzu wirr daherkommen. Es ist nicht immer leicht, Dahls philosophischen Ausführungen zu folgen. Dafür entschädigt der Schwede mit einer Sprache, die nicht viele Krimis innehaben. Manchmal gar zu schön, um solch grausame Geschichten zu erzählen. Poetische Sätze, spannende Wendungen, interessante Hintergründe und komplexe Figuren, die wunderbare Metamorphosen durchmachen. Das Leben hat sie zart gemacht. Rebecca Schaal

Die bisher in Deutschland erschienenen Romane: Misterioso, Böses Blut, Falsche Opfer, Tiefer Schmerz, Rosenrot, Ungeschoren, Totenmesse.

Arne Dahl: Totenmesse, Piper, gebundene Ausgabe, 416 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3431037913.

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