Die Umsteigerin: Ausnahme-Athletin Edina Müller

Rio de Janeiro (dpa) · 2012 gewann Edina Müller mit dem deutschen Rollstuhl-Basketballteam die Goldmedaille. Bei den Paralympics in Rio de Janeiro will sie diesen Erfolg wiederholen - allerdings im Kanu.

Was macht aus einer erfolgreichen Sportlerin eine Ausnahmesportlerin? Was muss jemand erreichen oder tun, um selbst an der Weltspitze noch einmal besonders aufzufallen?

Am Mittwoch beginnen in Rio de Janeiro die Paralympischen Spiele, und die Hamburgerin Edina Müller möchte dort zum zweiten Mal nach 2012 eine Goldmedaille gewinnen. Ihren Titel von London wird die 33-Jährige allerdings nicht verteidigen können, denn aus der Rollstuhl-Basketballerin Edina Müller ist in den vergangenen zwei Jahren die Kanutin Edina Müller geworden.

2014 Kanu-Anfängerin, 2016 Kanu-Weltmeisterin und 2016 gleich noch Paralympics-Siegerin? Diese Entwicklung macht ihre Geschichte so besonders. Deshalb sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, auch: „Edina Müller war schon als Rollstuhl-Basketballerin eine Top-Athletin. Aber das hier zeigt noch einmal, was für eine Ausnahmesportlerin sie ist.“

Hannover im August, die deutschen Behindertensportler werden in einer Bundeswehr-Kaserne für die Paralympics eingekleidet. Müller kennt das schon von 2008 und 2012, sie hat ihre Sachen schnell beisammen. „Eine Medaille in Rio hätte keinen anderen Wert für mich. Aber es wäre ein anderes Gefühl“, sagt sie. „Man ist allein an der Startlinie. Es geht nur um die 200 Meter und die Zeit. Da kann dir kein Schiedsrichter dazwischen kommen, der das Spiel verpfeift. Oder ein Trainer, der einen Fehler macht. Man ist nur für sich selbst verantwortlich.“

2014 hörte sie nach den Weltmeisterschaften in Kanada mit dem Rollstuhl-Basketball auf. Sie hatte keinen Plan für die Zeit danach. Sie wusste nur: „Ich will noch einmal eine neue Herausforderung.“

Zum Kanu kam sie über einen Freund. Der nahm sie mal mit auf den Bundesstützpunkt der deutschen Rennkanuten. Ein Zufall, mehr nicht. „Ich war eine Freizeitpaddlerin. Ich hatte ein gemütliches Wanderboot und habe ohne jede Technik gepaddelt“, erzählt sie. „Die zu lernen, war schwer.“ Nur „ein Gefühl für das Boot“ habe sie bereits gehabt.

Müller begann mit diesem Sport, „ohne zu wissen, wie weit ich damit komme. Als auf einmal Rio in Aussicht war, brannte es in mir.“ Im Mai gewann sie den WM-Titel im Kajak. Im Endlauf besiegte sie die viermalige Weltmeisterin Jeanette Chippington aus Großbritannien.

Dr. Karl Quade ist in Rio der Chef de Mission des deutschen Teams. Er ist promovierter Biomechaniker und hat auch deshalb die Eigenschaft, die Dinge zu versachlichen und selbst im aufgeregten Leistungssport eher kleiner zu reden als ständig zu sensationalisieren.

„Rollstuhlfahrer sind im Oberkörperbereich besser ausgebildet als andere Sportler“, erklärt er. „Die Voraussetzungen, um so ein Boot anzutreiben, sind bei Edina also da. Wenn man dann die motorischen Fähigkeiten erlernt, ein Talent mitbringt und so viel Trainingsfleiß hat wie sie, dann ist eine solche Entwicklung durchaus möglich.“

Edina Müller eine Ausnahmesportlerin? Quade redet mit viel Respekt über sie. Aber er würde ein so großes Wort womöglich nicht einmal dann benutzen, wenn sie nach Gold im Basketball und Gold im Kanu in vier Jahren auch noch den Handbike-Marathon gewinnen sollte.

Vor dem Abflug nach Rio wurde das deutsche Team von Joachim Gauck verabschiedet. Der Bundespräsident hielt auf dem Frankfurter Flughafen eine kurze Rede und setzte sich dann als erstes zu Müller. Die Hamburgerin sitzt nur deshalb im Rollstuhl, weil sie im Alter von 16 Jahren Rückenschmerzen bekam und daraufhin jemand versuchte, einen Wirbel bei ihr wieder einzurenken. Dabei wurde das Rückenmark geschädigt. Mittlerweile ist sie Diplom-Sporttherapeutin und arbeitet in einer Hamburger Klinik mit querschnittsgelähmten Patienten.

Edina Müller ist für ihre Patienten das beste Beispiel, „was noch alles möglich ist, welche Chancen es gibt“, so Beucher. Vielleicht macht genau das sie endgültig zur Ausnahmesportlerin. In seiner Rede zu den Paralympics sagte Gauck: „Sportler sind für viele Menschen immer Vorbilder. Das gilt für diese Sportler ganz besonders.“

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