Unsere Geschichte August Gerber aus Piesport – Tod im Konzentrationslager

Piesport/Hamburg · Der 32-jährige Kommunist starb in Hamburg-Neuengamme. Die genauen Umstände bleiben ungeklärt, denn viele Totenscheine im Lager wurden falsch ausgestellt.

 August Gerber um 1930.

August Gerber um 1930.

Foto: Archives nationales de Luxembourg/ANLux

Über die politische Betätigung von August Gerber, 1909 geboren als neuntes von zehn Kindern des Pflasterers Jakob Gerber und der berufslosen Margaretha Gerber, geb. Pelzer, ist nichts bekannt. Nach der Volksschule besucht August die Klosterschule der Weißen Väter in Trier. Den anschließenden Besuch in Haigerloh, wo die Afrika-Missionare eine Missionsschule betreiben, muss August abbrechen. Die Eltern können das Schulgeld nicht mehr zahlen.

Seit 1924 lebt Gerber wieder in Piesport und unterstützt seine Mutter, die inzwischen Witwe ist. Im Jahr 1930 arbeitet August einige Monate in Luxemburg. Wann er sich der kleinen Piesporter KPD-Gruppe angeschlossen hat, ist nicht überliefert. Aufgrund seines bisherigen Werdegangs war dieser Schritt eher nicht zu erwarten. August Gerber dürfte aber zu den 1174 Menschen im Kreis Bernkastel gehören, die bei der letzten freien Reichstagswahl vom 6. November 1932 für die KPD gestimmt hatten.

Auch wenn er keine leitende Parteifunktion innehatte, gehörte er für die Nationalsozialisten zu den Menschen, die nach dem Reichstagsbrand vom 28. Februar 1933 für einige Wochen in „Schutzhaft“ zu nehmen waren. Die Nationalsozialisten propagierten eine aktuelle Umsturzgefahr durch die Kommunisten und beschuldigten diese, den Brand gelegt zu haben. Beweise blieben sie schuldig.

Reichspräsident von Hindenburg erließ auf Drängen Hitlers die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Dadurch hatte die Regierung diktatorische Vollmachten: Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit sowie Versammlungsfreiheit waren außer Kraft gesetzt. Der deutsch-jüdische Politologe Ernst Fraenkel nannte die so genannte „Reichstagsbrandverordnung“ schon 1940 „die eigentliche Verfassungsurkunde des „Dritten Reiches“, weil sie bis zum Ende des NS-Regimes die formale Legitimation für die Gestapo zur Verfolgung politischer Gegner bildete.

Vor allem die KPD galt es zu zerschlagen. Der kommissarische Innenminister Hermann Göring hatte am 23. Februar 50 000 SA- und SS-Männer als „Hilfspolizisten“ eingesetzt, die reichsweit Jagd auf Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten machten: Über 7500 wurden in Polizeigefängnissen festgesetzt. In einer zweiten Verhaftungswelle wurden bis Ende April 1933 weitere 25 000 in so genannte „wilde“ Lager verschleppt, wo sie den Demütigungen und Quälereien der SA-Schläger ausgeliefert waren.

Dieses Schicksal ereilte auch Gerbers Parteigenosse aus Piesport, den Lehrer und KPD-Stadtverordneten in Remscheid, Peter Leyendecker, der in einer stillgelegten Fabrik in Kemna bei Wuppertal als „Schutzhäftling“ einsaß. Ins Wittlicher Gefängnis waren im Frühjahr 1933 rund 170 politische Gefangene als „Schutzhafthäftlinge“ eingeliefert worden, darunter auch etliche KPD-Mitglieder der Region.

Flucht über Luxemburg ins Saargebiet

August Gerber wird im März 1933 quasi in letzter Sekunde vor einem heranrückenden Gendarmentrupp gewarnt und kann sich seiner Verhaftung durch Flucht nach Luxemburg entziehen. Ein Abschied von der Familie war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Gerber flüchtet bald schon in das damals noch nicht angegliederte Saargebiet. Dort wird er von Parteigenossen und der Liga für Menschenrechte unterstützt, die bei Saarbrücken ein Wohnheim für 60 Emigranten unterhält. Die erste Flüchtlingswelle nach dem Reichstagsbrand hatte über 800 „Reichsemigranten“, vor allem Kommunisten und linke Sozialdemokraten, allein in den Landkreis Saarbrücken gespült.

Ob sich August Gerber an antifaschistischen Aktionen zur Aufklärung über den wahren Charakter des Hitler-Regimes vor dem Referendum vom 13. Januar 1935 beteiligt hat, weiß man nicht. Für den ebenfalls ins Saargebiet geflüchteten Wittlicher Kommunisten Peter Habscheid, der sich später auch den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg anschloss, ist dies belegt.

Nach der Rückgliederung des Saargebietes emigrierten rund 37 000 Hitler-Gegner meist nach Frankreich oder Luxemburg. Allein am 10. März 1935 wurden am französischen Grenzübergang Forbach rund 6000 Reichsdeutsche gezählt, darunter auch etwa deutsche 650 Juden.

Arbeit und Verhaftung in Frankreich

August Gerber begab sich zunächst nach Südfrankreich – möglicherweise spielte auch er mit dem Gedanken, nach Spanien zu gehen. Wegen fehlender Papiere landet er für zwei Monate im Gefängnis. Dann zieht es ihn nach Saint-Nazaire, wo die Loire in den Atlantik mündet. Dort findet Gerber Arbeit bei einem deutschen Unternehmer. Offenbar fühlt er sich noch sicher, als die Wehrmacht auch diesen Teil Frankreichs besetzt. Eine Fehleinschätzung – die Gestapo verhaftet ihn im November 1940 unter dem Verdacht des Hochverrats.

Gerber wird nach Trier gebracht, ohne dass eine Anklage erhoben wird. Im Trierer Gefängnis kann seine Mutter ihn vor Weihnachten 1940 noch kurz besuchen. August berichtet ihr, 2400 Reichsmark gespart zu haben. Als das Sparbuch wenig später der Mutter nach Piesport geschickt wird, muss sie feststellen, dass alle Seiten herausgerissen waren. Die Bemühungen der Mutter, den Sparbetrag später rückerstattet zu bekommen, bleiben erfolglos – das Geld war der Reichskasse überwiesen worden. Auch nach Kriegsende bleiben Versuche der weitgehend mittellosen Witwe zur Rückerstattung vergeblich.

Häftling in Dachau und Neuengamme

Anfang Januar 1941 wird August Gerber in das Konzentrationslager Dachau bei München eingeliefert. Weil man in Hamburg beim Auf- und Ausbau des Konzentrationslagers Neuengamme dringend Arbeitskräfte braucht, wird Gerber mit anderen Leidensgenossen am 18. Februar 1941 in den Norden transportiert, wo er als Häftling Nr. 4304 registriert wird. Nach wenigen Wochen ist Gerber tot, verstorben am 26. März 1941 an „Versagen des Herz- und Kreislaufsystems, Magen- und Darmkatarrh, allgemeiner Körperschwäche“ – so der Eintrag auf der Sterbeurkunde des Sonderstandesamtes Neuengamme.

Hinlänglich bekannt ist, dass in allen Konzentrationslagern die Schreiber im Krankenblock beim Eintragen von Todesursachen aus einer Liste mit möglichen Todesursachen willkürlich Eintragungen vornehmen konnten. Der Hamburger Lagerleiter, SS-Obersturmbannführer Weiß, gehörte zu den Kommandanten, die das NS-Programm „Vernichtung durch Arbeit“ mit besonderer Überzeugung in die Praxis umsetzten. Von Dezember 1938 bis April 1945 waren fast 100 000 Menschen aus ganz Europa in Neuengamme mit seinen 85 Außenlagern inhaftiert. Die genaue Zahl der Todesopfer kann nur geschätzt werden, weil bei weitem nicht alle Häftlinge registriert wurden. Schätzungsweise starben etwa 43 000 Häftlinge durch gezielte Tötungen oder an den Folgen der Haft.

Als Gerbers Mutter durch ein Schreiben des Lagerkommandanten vom Tod ihres Sohnes erfährt, macht sie sich zusammen mit ihrer Tochter Maria auf den weiten Weg nach Hamburg. Die beiden werden direkt an die Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf verwiesen. „Ich durfte die mit einem Tuch bedeckte Leiche meines Sohnes in Augenschein nehmen“, schreibt sie Ende August 1946. „Als ich beim Abschied ihm die Hand reichen wollte, stellte ich mit Entsetzen fest, daß beide Arme fehlten. Das Gesicht war ganz verzerrt und mit blauen Flecken durchsetzt. Er war also eines gewaltsamen Todes gestorben.“

Was Mutter und Tochter zunächst verschwiegen blieb, bestätigt die Gedenkstätte Neuengamme heute: August Gerbers Leiche war, wie aus dem Einäscherungsregister des Friedhofs Hamburg-Ohlsdorf hervorgeht, zunächst der Anatomie der Klinik überlassen worden. Nachdem die Leiche dort für Studienzwecke verwertet worden war, wurde sie drei Wochen später im Krematorium Ohlsdorf verbrannt. Die Urne wurde dem Piesporter Kaplan Böhm überstellt – die Kosten von 150 Reichsmark hatte die Mutter zu tragen. Die Beisetzung im Grab ihres Mannes fand in aller Stille statt. Lassen wir noch einmal die Mutter zu Wort kommen: „Ich habe mit August den Trost meines Alters verloren. Politisch war er ein fanatischer Gegner des Nazismus. Mein Sohn ist für seine politische Überzeugung einen grauenvollen Weg des Leidens gegangen und starb als Märtyrer verlassen und einsam. Bücher fassen nicht das Leid, das mein Mutterherz erdulden mußte.“

 Diese Luftaufnahme des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme entstand nach Kriegsende.

Diese Luftaufnahme des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme entstand nach Kriegsende.

Foto: Gedenkstätte Neuengamme
 August Gerbers Mutter.

August Gerbers Mutter.

Foto: Amt für Wiedergutmachung Saarburg
 Eingang zum Konzentrationslager Neuengamme.

Eingang zum Konzentrationslager Neuengamme.

Foto: Gedenkstätte Neuengamme
 KPD-Mann und Spanienkämpfer Peter Habscheid aus Wittlich.

KPD-Mann und Spanienkämpfer Peter Habscheid aus Wittlich.

Foto: Amt für Wiedergutmachung Saarburg
 Das KPD-Versammlungsverbot wurde Anfang Februar 1933   im Wittlicher Tageblatt bekanntgemacht.

Das KPD-Versammlungsverbot wurde Anfang Februar 1933 im Wittlicher Tageblatt bekanntgemacht.

Foto: Wittlicher Tageblatt
 Das Sterberegister des Lagers.

Das Sterberegister des Lagers.

Foto: Gedenkstätte Neuengamme

Margarethe Gerber wurde 1949 als „Opfer des Faschismus“ anerkannt und erhielt nach einem ziemlich mühsamen Kampf mit den Behörden eine kleine Elternrente, die kaum zum Bezahlen ihrer Arztkosten reichte. Im Alter von 88 Jahren verstarb sie 1956 in der Obhut der Schwestern vom Heiligen Geist im „Böhmerklösterchen“ in Trier.

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