Flutkatastrophe Mosel und Saar helfen der Ahr

Konz/Insul · Matthias Keller ist Ge­schäfts­führer der Fir­ma Volvo in Konz. Das Un­ter­neh­men stellt Bus­se, die Hel­fer zu Auf­räum­ar­bei­ten nach der Flut­ka­ta­stro­phe ins Ahr­tal brin­gen. Um sich ein Bild vor Ort zu ma­chen, hat er selbst einen Ar­beits­ein­satz ge­leis­tet. Für Die Woch schil­dert er sei­ne Er­leb­nis­se.

 Die Helfer sind bereit zur Abfahrt.

Die Helfer sind bereit zur Abfahrt.

Foto: Matthias Keller

(red) Ich gebe es zu: 5.15 Uhr am Morgen ist nicht gerade meine Lieblingszeit, wenn es ums Aufstehen geht. Aber ich hatte mich nun mal für die Fahrt ins Ahrtal angemeldet und um 6.15 Uhr wartet der Bus am Pförtnerhäuschen bei Volvo in Konz.

42 bestens gelaunte Helferinnen und Helfer verladen jede Menge Schaufeln, Pickel, Stemmeisen und Bohrhämmer in allen Größen. Auch ausreichend Getränke, Frikadellen- und Käsebrötchen werden an Bord gebracht. Damit bin ich eine Sorge schon mal los: Für das leibliche Wohl ist offensichtlich bestens gesorgt.

Je mehr wir uns dem Ziel nähern, desto mehr steigt die Anspannung, vor allem bei den „Neuen“, die so wie ich zum ersten Mal dabei sind. Ein Blick aus dem Busfenster vermittelt uns einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe, welche die heile Welt einer ganzen Region innerhalb von Stunden aus den Angeln gehoben hat: Zerstörte Brücken, Berge von Bauschutt und Treibgut, leerstehende Häuser, gebrochene Fensterscheiben, Baulücken, wo offensichtlich bis vor kurzem noch Gebäude standen. Spätestens jetzt ist allen bewusst, warum wir hier sind.

Unser Ziel ist Insul, ein kleiner Ort, direkt an der Ahr gelegen. Dort haben Reinhold Büdinger und Harald Maus, die beiden Initiatoren dieser Aktion, bereits zahlreiche Kontakte geknüpft. Alles ist sehr professionell für unseren Arbeitseinsatz vorbereitet. Nach der freundlichen Begrüßung durch den Ortsbürgermeister und Anja, unserer Betreuerin vor Ort, teilen wir uns in zwei Gruppen auf:

Ich lasse mich dem Ahrauen-Reinigungsteam zuteilen. Mit Eimern, Müllsäcken und Bigpacks unterm Arm machen wir uns auf den Weg zum Ufer der Ahr, die ruhig und sanft vor sich hinplätschert. Schwer vorstellbar, dass dieses kleine Flüsschen vor wenigen Wochen zu einem reißenden Strom anwuchs und derartige Verwüstungen angerichtet hat. Die Brückenreste neben der Behelfsbrücke sind stumme Zeugen der jüngsten Geschehnisse.

Die über weite Flächen verstreuten Blech- und Plastikteile, Baumstämme, Folienfetzen, Kleidungsstücke und Spielsachen lassen erahnen, was hier tatsächlich passiert ist.

Die Arbeit erfordert manchmal intensiven Krafteinsatz und zuweilen akrobatische Fähigkeiten. Mal müssen die Überreste eines zerborstenen Wohnwagens tief aus dem Maisfeld gezerrt werden, mal gilt es, ein großes Blechteil aus Geröll auszugraben. Oder ein hartnäckiges Folienknäuel lässt sich nur mit Mühe und körperlichen Verrenkungen von der steilen und unwegsamen Uferböschung entfernen. Wir füllen einen Bigpack nach dem anderen, und schon bald müssen wir Nachschub anfordern. Es fließt reichlich Schweiß, auch Dank der spätsommerlichen Temperaturen.

Von dem herrlichen Wetter kann das Stemm-Team nicht wirklich profitieren. Mit schwerem Gerät machen sich die starken Männer und Frauen daran, das Erdgeschoss eines großen Hauses komplett zu entkernen. Putz und Estrich müssen weggestemmt, der Schutt gesammelt und abtransportiert werden. Das ist Knochenarbeit. Staub, Schmutz, Lärm. Zum Glück fließt der Strom mittlerweile einigermaßen stabil und es kommt nur gelegentlich zur Überlastung des schwachen Netzes.

Bei der Mittagspause in der alten Schule treffen sich beide Teams wieder. An den staubigen Gesichtern und den schweißgetränkten Klamotten lässt sich unschwer erkennen, wer der Zunft der Abbruchspezialisten angehört. Das liebevoll zubereitete Essen haben wir uns alle verdient. Ich bin beeindruckt, wie hervorragend das alles organisiert ist. Frisch gestärkt machen wir uns wieder an die Arbeit zur Mittagsschicht: Es wird gestemmt, geräumt, geputzt und geschwitzt. Und es werden Bekanntschaften geschlossen. Das gemeinsame Ziel schweißt zusammen: Wir von Mosel und Saar helfen der Ahr.

Mit dem befriedigenden Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, sitzen wir am Abend erschöpft aber glücklich und gut gelaunt im Bus und machen den obligatorischen Abstecher in das Helfer-Shuttle-Camp oberhalb des Ortes Grafschaft. Es ist kaum vorstellbar, was dort in den letzten Wochen aufgebaut wurde: Von diesem Camp aus werden täglich Hunderte von Hilfswilligen zu ihren Einsatzorten gebracht und wieder abgeholt. Hier können sie parken und sich ihre persönliche Schutzausrüstung besorgen. Hier stehen Duschen und ein Sanitätszelt zur Verfügung. Sogar eine Schmiede gibt es hier, um die notwendigen Werkzeuge wieder auf Vordermann zu bringen.

In dem riesigen, professionell organisierten Verpflegungszelt würde fast etwas Oktoberfeststimmung aufkommen, wäre da nicht das Meer von Kerzen, das an die vielen Menschen erinnert, die bei dieser Katastrophe ihr Leben gelassen haben.

Als es dunkel wird sitzen wir längst wieder im Bus in Richtung Konz. Ein Kollege, der bereits zum zweiten Mal dabei ist, hatte es mir prophezeit: Das Gefühl, gemeinsam mit Gleichgesinnten einen kleinen Beitrag zur Linderung des unermesslichen Leids der Menschen im Ahrtal geleistet zu haben, ist einfach unbeschreiblich. So erfüllt es mich mit Freude und Stolz, dass wir als Volvo durch die Finanzierung der Busse und durch den Einsatz so vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam mit anderen helfen konnten, dort wo Hilfe so sehr benötigt wird.

Ein Volvo-Mitarbeiter erzählt mir, dass er sich auf das Frühstück mit seinen Kindern am nächsten Morgen freue. Die würden dann ganz genau wissen wollen, was er erlebt und wie er geholfen habe. Ich bin sicher, sie werden sehr stolz auf ihren Papa sein. Er ist ein Held, genauso wie all die anderen Frauen und Männer, die ihre Freizeit geopfert haben, um die Welt ein bisschen menschlicher zu machen.

Die Welt braucht diese Helden. Und dafür gibt es auch in Zukunft reichlich Gelegenheit. Denn Volvo wird dieses ehrenamtliche Engagement auch in den nächsten Wochen durch die Finanzierung weiterer Busfahrten unterstützen. Auch andere Unternehmen und Privatpersonen aus der Region leisten ihren Beitrag durch das Sponsoring von Arbeitsmaterialien oder Werkzeugen. 

 Gearbeitet wird in zwei Teams: beim Aufräumen in den Ahrauen (Foto oben) und beim Entkernen eines Hauses.

Gearbeitet wird in zwei Teams: beim Aufräumen in den Ahrauen (Foto oben) und beim Entkernen eines Hauses.

Foto: Matthias Keller
 Fluthelfer an der Ahr

Fluthelfer an der Ahr

Foto: Matthias Keller

Eines ist sicher: Für diese Erfahrung lohnt es sich, auch mal um 5:15 aufzustehen. Versprochen.

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