Woch-Serie „Arbeitswelt im Wandel“ Mit Willenskraft in den Traumjob

Trier · Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee liegt in der Luft, ein selbstgebackener Marmorkuchen steht auf einer weißen Platte auf der Anrichte neben dem Tisch bereit. Christine W. hat eine Kleinigkeit vorbereitet. Geburtstag feiert die 45-Jährige nicht. Ihr Anlass zum Feiern ist für sie von größerer Bedeutung, als ein neues Lebensjahr zu beginnen. Neun Jahre ist es her, dass sie ihre Arbeitsstelle in der Tagesförderstätte des Lebenshilfe-Vereins begonnen hat.

 Barbara Alanni, Elvira Schuler, Georg Mergen (von links) unterstützen Magdalena Kronz bei ihrer Arbeit im Ordnungsamt Trier.

Barbara Alanni, Elvira Schuler, Georg Mergen (von links) unterstützen Magdalena Kronz bei ihrer Arbeit im Ordnungsamt Trier.

Foto: TV/Michaela Hellmann

So viel Beständigkeit ist für sie neu. Eine schiere Arbeitsstellen-Odysee hat sie hinter sich. Christine W. hat eine geistige Behinderung sowie eine Lernbehinderung. Nachdem sie die Sonderschule abgeschlossen hat, arbeitet sie in Hotels oder in einer Bäckerei, wechselt Bettwäsche, putzt und bedient Kunden. „Die Arbeit war sehr stressig und hat mir keinen Spaß gemacht“, berichtet Christine W. Ohne Ausbildung rutscht sie zeitweise in die Arbeitslosigkeit, bekommt Hartz IV.

Über die Agentur für Arbeit wurde sie vor neun Jahren als Ein-Euro-Jobberin in die Tagesförderstätte des Vereins der Lebenshilfe Trier vermittelt. Dort kümmert sie sich als Hauswirtschafterin darum, dass die Wäsche gewaschen, das Geschirr gespült und Essen verteilt wird. „Der damalige Chef der Tagesförderstätte, Lothar Duschner, bemerkte, dass Christine erschöpft war durch den Druck und die ständigen Wechsel ihrer Arbeitsstelle“, berichtet Barbara Alanni, Inklusionsassistentin der Lebenshilfe-Werke Trier. „Er war es auch, der ihr ein Praktikum in der Werkstatt der Lebenshilfe vermittelte.“

Dort habe sie dann einmal in der Woche Schule gehabt, sagt Christine W.  Auf dem Lehrplan für den hauswirtschaftlichen Bereich standen Rechnen, Hygiene- und Sicherheitsbelehrungen. Inzwischen arbeitet Christine W. als Angestellte der Werkstatt in der Tagesförderstätte. „Die Tagesförderstätte wird vom Lebenshilfe Verein betrieben und ist betriebswirtschaftlich komplett unabhängig von den Lebenshilfe-Werken“, erläutert Alanni. „Deshalb erhält Christine einen Werkstatt-Lohn, den die Lebenshilfe-Werke dem Lebenshilfe-Verein in Rechnung stellen.“

Christine W. habe eine Verwandlung durchgemacht, sagt Alanni. Keine Spur von Niedergeschlagenheit und Erschöpfung ist ihr anzumerken. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, funkeln ihre Augen. „Wenn ich morgens hierherkomme und meine Kollegen sehe, bin ich glücklich“, sagt Christine W. und strahlt über das ganze Gesicht.

„Wenn Christine in der Küche arbeitet, bekommt sie immer Besuch. Sie wird von allen hier gemocht“, berichtet Jutta Regnier. „Alle nennen sie nur ‚unsere Küchenfee‘“, sagt sie lachend. Regnier ist Erzieherin in der Tagesförderstätte und leitet Christine W. an. „Ihre Aufgaben erledigt sie selbstständig. Manchmal muss man sie ein bisschen bremsen, damit sie ihre Arbeiten nicht zu schnell macht“, sagt Regnier. „Sie möchte ihre Arbeit schnell erledigen, um keine Schwäche zu zeigen.“ Dann laufe auch mal eine Waschmaschine nur bei 30 Grad, weil die Waschzeit kürzer ist, anstatt bei 60 Grad. „Man muss immer ein bisschen ein Auge darauf haben.“ Und trotzdem: „Christine ist eine große Entlastung“, betont Regnier. „Das ist auch wichtig. Es darf keine Belastung für die anderen Mitarbeiter werden. Sonst ist Frust programmiert“, sagt Inklusionsassistentin Alanni.

Auch privat ist Christine W. selbstständig. Sie geht allein einkaufen und kümmert sich um ihren Haushalt. Ihr gesetzlicher Vertreter sorgt dafür, dass Miete und Stromrechnungen bezahlt werden. „Abends kommt auch jemand vorbei, der schaut, dass bei mir alles in Ordnung ist“, erzählt sie.  Sie arbeitet acht Stunden, fünf Tage pro Woche, so wie die Erzieher und Betreuer der Tagesförderstätte auch.

Einen anderen Weg geht Magdalena Kronz. Sie hat den Schritt aus der Werkstatt hin zu einem Außenarbeitsplatz gewagt. Seit 2017 arbeitet sie beim Ordnungsamt in der Bußgeldstelle, wo sie anfangs mehrere Praktika machte. „Die Praktika sind Erprobungszeiten, sowohl für den betreuten Mitarbeiter, als auch für die Kollegen am externen Arbeitsplatz“, sagt Alanni. Im Mai 2018 erhielt Kronz einen festen Vertrag. Während der Praktika kam sie einmal pro Woche ins Ordnungsamt, inzwischen ist sie an zwei Tagen in der Woche dort. An den restlichen drei Werktagen arbeitet Kronz in der Montage-Abteilung der Lebenshilfe-Werke.

Jeden Dienstag und Donnerstag ist sie in der Bußgeldstelle, sortiert Akten, heftet ab, legt neue Akten im speziellen Softwaresystem ab, überprüft Kassenzeichen von Verwarnungen und vieles mehr. „Magdalena ist sehr zuverlässig“, lobt Elmar Geimer, Abteilungsleiter der Bußgeldstelle. „Wir können uns völlig auf sie verlassen. Das, was sie anpackt, ist sauber und ordentlich gemacht.“ Dabei ist Kronz‘ Arbeit verantwortungsvoll. Die Akten­codes sind zwölfstellig, da könnten schnell Zahlendreher entstehen und Akten verschwinden. Damit sie so sorgfältig arbeiten könne, bekomme sie so viel Zeit, wie sie brauche, sagt Geimer.

Dass Kronz ihre Arbeit so gut erledigen würde, war nicht absehbar. Denn wegen einer Hirnblutung während der Geburt wurde das motorische Zentrum im Gehirn verletzt. Folgen sind eine Sprachbehinderung und feinmotorische Störungen. Die Ärzte hatten ihren Eltern prophezeit, dass ihre Tochter nie laufen und sich kaum mitteilen können würde. „Hier in dem Team gibt es die Bereitschaft, Magdalena so zu nehmen, wie sie ist“, sagt Alanni. „Nur so kann die Zusammenarbeit funktionieren.“

Erfahrungen mit beeinträchtigten Menschen hatte im Team der Bußgeldstelle niemand, bevor Kronz kam. Anfangs mussten sich beide Seiten aneinander gewöhnen. „Magdalena hatte ihren eigenen Kopf. Sie dachte, sie kann schon alles“, erzählt Elvira Schuler, die die direkte Ansprechpartnerin für Kronz und für Ermittlungen in der Bußgeldstelle zuständig ist. „Aber ich musste noch viel lernen“, gibt Kronz zu.

„Die Arbeiten, die sie jetzt erledigt, haben vorher Praktikanten, Auszubildende oder jemand, der gerade Zeit hatte, gemacht. Jetzt wissen wir, wer dafür zuständig und verantwortlich ist“, sagt Greimer. „Das gibt uns auch eine gewisse Planungssicherheit.“

Auf die Frage, wo Kronz lieber arbeitet, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Im Ordnungsamt. „In der Werkstatt bin ich unterfordert. Hier sind manche Aufgaben wie Denksport. Das macht mir mehr Spaß“, erklärt sie. „Und wenn ich eine kleine Pause machen kann, komme ich auch gut klar.“ Auch Kollege Georg Mergen freut sich über die Entlastung: „Sie hat sich super entwickelt. Wir sind froh, dass sie uns hier unterstützt.“

„Magdalena hat 100-prozentige Willenskraft gezeigt“, sagt Alanni.

 Magdalena Kronz arbeitet an zwei Tagen in der Woche in der Bußgeldstelle und kümmert sich um die Ablage.

Magdalena Kronz arbeitet an zwei Tagen in der Woche in der Bußgeldstelle und kümmert sich um die Ablage.

Foto: TV/Michaela Hellmann
 Christine W. ist die „Küchenfee“ der Tagesförderstätte des Lebenshilfe-Vereins in der Paulinstraße in Trier.

Christine W. ist die „Küchenfee“ der Tagesförderstätte des Lebenshilfe-Vereins in der Paulinstraße in Trier.

Foto: TV/Michaela Hellmann
 In der Küche beschriftet Christine W. die Tafel für die Essensausgabe in der Tagesförderstätte.

In der Küche beschriftet Christine W. die Tafel für die Essensausgabe in der Tagesförderstätte.

Foto: TV/Michaela Hellmann

„Ich wollte immer Büroarbeit machen“, sagt Kronz. Derzeit hat sie keinen eigenen Schreibtisch, sondern wandert von Büro zu Büro. „So lerne ich immer etwas Neues und habe andere Kollegen. Das ist viel Abwechslung, und das finde ich gut“, sagt sie.  Doch künftig solle sich das ändern, sagt Geimer. „Der nächste Schritt ist, dass sie einen festen Arbeitsplatz bekommt.“

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