Ein Bitburger zum Anfassen

Unaufdringlich, aber auch unüberhörbar dringt das lautmalerische Orchestervorspiel zum dritten Akt von "Carmen" durch das geräumige Wohnzimmer und untermalt sanft das Gespräch mit dem Hausherrn. Keine penetrant dröhnenden Boxen aus der Zimmer-Ecke, sondern wohltuender Raumklang.

Unaufdringlich, aber auch unüberhörbar dringt das lautmalerische Orchestervorspiel zum dritten Akt von "Carmen" durch das geräumige Wohnzimmer und untermalt sanft das Gespräch mit dem Hausherrn. Keine penetrant dröhnenden Boxen aus der Zimmer-Ecke, sondern wohltuender Raumklang. Walter Göbel hat, wovon jeder Hifi-Fan träumt: Eine zentrale Steuerungsanlage, von der aus der Sound der gerade laufenden CD in jedes Zimmer der Hauses transportiert werden kann. Nur die Bedienungshoheit hat er nicht, die liegt bei Ehefrau Roswitha.25 Jahre war Walter Göbel einer der Top-Manager bei der Bitburger Brauerei. Zuletzt mit dem Titel "Generalbevollmächtigter", der so wunderbar altmodisch klingt im Zeitalter der CEO's und CPO's. Ein gewiefter Vertriebs-Spezialist, sagen die Branchen-Profis. Ein geschickter Vermittler mit hohem Vertrauensvorschuss, sagen die Insider. Für die Leute in der Region, für Vereins- und Kulturszene, für Sportler und Karnevalisten ist er einfach "ihr Mann" bei der Bitburger, einer zum Anfassen, auch - und besonders gerne - nach Abschluss der offiziellen Tagesordnung.

"Ich fand es vor der Theke reizvoller als hinter der Theke"

Da trafen sich Job und Neigung in geradezu idealer Weise. "Ich fand es vor der Theke immer reizvoller als hinter der Theke", sagt der 65-Jährige, der dieser Tage in den Ruhestand geht, "sonst wäre ich wohl eher Buchhalter geworden". So machte der Sohn eines Dachdecker-Meisters zu Hause in Dortmund eine kaufmännische Lehre in einem Warenhaus, arbeitete im Fachhandel für Einrichtungsgegenstände, bevor er sich 1966 für Hopfen, Malz und Gerste als wesentliche Berufs-Requisiten entschied.

15 Jahre arbeitete er für die König-Brauerei, dann ging er nach Bitburg. Der Markenwechsel, so deutet er an, sei geschmacklich anfangs schwerer gefallen als beruflich. Köpi-Trinker sind hinsichtlich der Markentreue bekanntermaßen kaum weniger nachhaltig als Bit-Konsumenten. So was darf er inzwischen zugeben, gehört doch seine alte Hausbrauerei, Ironie des Schicksals, seit dem vorletzen Jahr zum Bitburger-Sprengel. "Irgendwie schließt sich da der Kreis", sinniert er.

Da stecken Gefühle mit drin, nicht nur kühles Kalkül. Kein Wunder, ist doch der Brauerei-Markt nach seiner Erfahrung "eine ziemlich emotionalisierte Branche". Bier ist auch eine Glaubenssache, davon leben gerade die Premium-Marken. Und Göbel, das ist spürbar, glaubt an "sein" Produkt.

Kurioserweise schwört der Mann, der für den gesamten Flaschenbier-Verkauf zuständig war, privat eher auf das frisch Gezapfte in gemütlicher Runde als auf die Kiste daheim im Keller. Er sei eben ein "sehr kommunikativer Mensch". Bleibe er mal drei Abende in Folge zu Hause, dann sage seine Frau zu ihm : Du musst mal wieder raus. Aber all zu oft, so sagt seine Miene, wird das nicht vorgekommen sein.

Wer viel beruflich unterwegs ist, ist froh über ein gemütliches Zuhause. Die Göbels blicken aus ihrem Wohnzimmer-Fenster auf "unbemannte" Eifel-Wiesen und -wälder. Man muss ein Stück abseits der Bundesstraßen fahren, um das Haus im Vorort eines Vororts zu finden. "Aber die Ruhe ist es uns wert", versichert Walter Göbel. Kein Ferienhaus in Spanien, keine Segeljacht am Mittelmeer: Das Fernweh plagt den Manager nicht. Mal zum Wandern nach Österreich oder zum Sonne tanken ans Mittelmeer: Das wirkt sehr bodenständig, zumal in den Kreisen der "hohen" Wirtschaft. Dafür schmücken künstlerische Souvenirs die Wände und Fensterbänke, nicht unbedingt von hohem materiellen Wert, aber geschmackvoll und stimmig ausgesucht, ebenso wie das Mobiliar.

Das hat, ebenso wie die klassische Musik-Kulisse, mit dem Faible von Roswitha Göbel für die schönen Künste zu tun. "Mein Weg zur Kultur begann mit der Hochzeit", räumt der Ehemann schmunzelnd ein. Halb zog sie ihn, halb sank er hin, obwohl etwa die Liebe zur Oper Walter Göbel nicht unbedingt in die Wiege gelegt war. Inzwischen hat er sich durchaus zum Kenner entwickelt, wenn auch nicht in dem Maße wie seine Frau. "Die kann mir immer sagen, wer wie gut gesungen hat", erzählt er und verweist auf meterweise Schallplatten und CD's im Keller.

Da darf es als Ausgleich im Auto ruhig schon mal ein zünftiger Marsch sein, oder das Radio. "Je nach Laune von SWR 4 bis SWR 3" umreißt Walter Göbel ein erstaunliches Spektrum. Dabei wären beruhigende Klänge gar nicht schlecht, fährt er doch nach eigenem Bekenntnis "gern flotte Autos", und das berufsbedingt zwischen 50 000 und 70 000 Kilometer pro Jahr.

Das wird sich künftig radikal ändern. Der Ruhestand naht, und Walter Göbel hat sich bewusst nicht zu viel vorgenommen. Das Golfen will er lernen, jetzt, wo ein erstklassiges Handicap - anders als bei einem beruflich noch aktiven Manager - keine Zweifel mehr am 150-prozentigen Engagement für die Arbeit begründet.

Zeit für Studienreisen will er sich nehmen. "Und du wolltest ja dann auch mehr im Garten machen", wirft seine Frau ein. "Hmm, jaja, mal sehen", brummt Walter Göbel, und man ahnt, dass er sein Rentner-Dasein nicht als Beete umgrabenden Hobby-Gärtner zu fristen gedenkt.

Denn da ist ja auch noch Enkeltochter Annik, deren regelmäßige Präsenz im Haus der Großeltern durch herumliegende Bibi-Blocksberg-DVDs dokumentiert wird. "Die schafft es, sich den gleichen Film 20 Mal anzusehen" stöhnt der Opa. Um stolz hinzuzufügen, dass die Vierjährige ihn beim Kartenspielen schon jetzt "ganz schön böse hereinlegen kann".

Auch das ist ein schöner Aspekt des Ruhestands: Dass man sich mal reinlegen lassen darf. In seinen 40 Brauerei-Jahren hat er sich, offenkundig erfolgreich, bemüht, das zu vermeiden. Jedenfalls fällt ihm auch bei längerem Nachdenken keine Antwort auf die Frage ein, was ihm denn mal so richtig schief gegangen sei.Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort