Ein Jahr Benedikt XVI.

„Wir sind Papst“, titelte die Bild-Zeitung, als Josef Ratzinger vor einem Jahr zum Papst gewählt worden war. Die linke „Tageszeitung“ (Taz) erschien dagegen mit der Schlagzeile „Oh mein Gott!“. Der Deutsche an der Spitze der Katholischen Kirche spaltete. Er galt als Verfechter einer harten Linie, auch viele Katholiken registrierten seine Wahl mit Bauchschmerzen. Inzwischen ist, jedenfalls innerhalb der Kirche, von Skepsis nicht mehr viel zu spüren. der TV hat verschiedene Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft nach ihrer Meinung befragt. Hier dokumentieren wie ihre Kommentare komplett.

Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung " taz":

Am Tag nach der Wahl Ratzingers zum Papst titelten wir: "Oh, mein Gott".

Wie richtig wir damit lagen, war nicht erst klar, als "Bild"-Teufel Franz Josef Wagner den Satz zur "bösesten" Schlagzeile 2005 ernannte.

Mögen also andere das erste Jahr Ratzingers filigran sezieren und dann von Fortschritten in der Unternehmensführung und Unternehmenspolitik fantasieren. Für mich zählt, was der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer sagt: Wenn der Papst Kondome erlaubte, dann würde ja keiner mehr Aids kriegen.

Man könnte lachen, wenn es nicht so furchtbar wäre. Dagegen ist selbst die katholische Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen eine Marginalie. Und die unappetitliche Kollaboration Ratzingers mit der Bild-Zeitung sowieso.

Winfried Görgen, stellvertretender Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Trier:

Papst Benedikt lebt vor, was es heißt, im Dienst an Gott und den Menschen zu stehen. Er erreicht die Herzen der Menschen. Das hat sich in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder gezeigt: schon bei der Beerdigung seines Vorgängers, dem er in großer Loyalität verbunden zu sein scheint, und für uns hier besonders auch beim Weltjugendtag. Mit seiner Enzyklika DEUS CARITAS EST hat er der Kirche meines Erachtens einen unschätzbar wichtigen Impuls gegeben, nämlich sich immer wieder ganz konkret dem Menschen vor allem in seinen Entbehrungen und Nöten zuzuwenden. Mit diesem Auftrag in die Zukunft hinein hat er auch die hohe Bedeutung des Laienengagements unterstrichen. Wir können sehr froh sein, diesen Papst bekommen zu haben. Wir wünschen uns, dass er sich weiter intensiv für die Einheit der Christen, für soziale Gerechtigkeit und für die Vermittlung des Glaubens als Lebenshilfe für die Menschen einsetzt.


Christoph Pistorius, Superintendent:

Gegen Ende des ersten Jahres im Pontifikat von Benedikt XVI. ist vielerorts die anfängliche Skepsis hoffendem Realismus gewichen gegenüber dem früheren Josef Kardinal Ratzinger, der ja nicht nur "Dominus Iesus" prägend beeinflusste, sondern auch für den Abschluss der "Gemeinsamen Erklärungen zur Rechtfertigung" verantwortlich ist. Für die römisch-katholische Kirche in Deutschland war gewiss der Weltjugendtag das herausragende Ereignis. Die Begegnung am Rande des Weltjugendtages hat unterstrichen, welchen Stellenwert die Ökumene im Pontifikat Benedikt XVI. einnehmen wird. Ausgehend vom Sakrament der Taufe als Band der Einheit legte der Papst dar, dass Ökumene als Einheit in Vielfalt für ihn in Zwischenschritten und nicht als Rückkehrökumene anzugehen ist.
Papst Benedikt XVI. hat durch seine theologische Kompetenz und seine bescheidene Würde die Menschen erreicht. Dazu gehören Gesten wie die Betonung seines Amtes als Bischof von Rom in der eigens für die Amtseinführung entwickelten Liturgie aber auch die Gestaltung seines Wappens. Es zeigt über den gekreuzten Schlüsseln nicht die dreifache Papstkrone, sondern die Mitra, die seine Rolle als Bischof von Rom unterstreicht. Auch das Pallium, das die Bischöfe von Rom seit dem 4. Jahrhundert tragen, wird von Benedikt XVI. in der Form getragen, die im ersten Jahrhundert, vor der Trennung in Ost- und Westkirche, üblich war. Auch in seiner ersten Enzyklika: "Deus caritas est" spricht nicht das Lehramt mit einem Machtwort, sondern der Prediger und Verkündiger des Evangeliums. Bei allen ungelösten Aufgaben im ökumenischen Dialog überwiegt auch bei mir hoffender Realismus.

Bischof Reinhard Marx:

Im Rückblick auf das Jahr 2005 haben manche von einem "katholischen Jahr" gesprochen. Der Tod von Johannes Paul II., die Wahl des deutschen Papstes und der Weltjugendtag haben Millionen Menschen bewegt. Es waren Weltereignisse!

Der deutsche Papst Benedikt XVI. erfüllt die Aufgabe des Nachfolgers des heiligen Petrus in großartiger Weise. Mit 78 Jahren hat er dieses Amt nicht angestrebt und gewollt, aber gerade weil er ganz überzeugt ist davon, dass der Herr selbst ihn in diesen Dienst gerufen hat, kann er ihn nun auch glaubwürdig, überzeugend und sogar gelassen ausüben. Wenn man daran zu-rückdenkt, wie sehr er - auch in Deutschland - als Kardinal angegriffen wurde, wird jetzt erkennbar, wie verzerrt diese Darstellung immer gewesen ist. Er kommt bei den Menschen an, sie hören ihm zu, weil er in seinen Predigten in einfacher und klarer Sprache die Schönheit des katholischen Glaubens darstellen kann.

Er ist für mich ein Papst, der auf Augenhöhe mit der modernen Welt, mit starker intellektueller Kraft und tiefer Frömmigkeit aufzeigen kann, warum die Freundschaft mit Jesus Christus die beste aller Lebensmöglichkeiten ist, warum es gut ist, in dieser katholischen Kirche Christ zu sein und zwar mit Herz und Verstand.

Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:

Papst Benedikt XVI. hat das erste Jahr seines Pontifikats in dreifacher Weise geprägt. Er hat erstens beim Weltjugendtag die Sympathien der vielen jungen Menschen, die nach Köln gekommen waren, gewonnen und deren Aufmerksamkeit ganz auf Christus als das Zentrum unseres Glaubens gelenkt. Er hat zweitens durch überraschende Einladungen nach verschiedenen Seiten und durch sein Gesprächsangebot an die Kardinäle neue dialogische Möglichkeiten eröffnet. Er hat schließlich drittens durch seine erste Enzyklika Deus est Caritas ein bewegendes Dokument des Glaubens geschrieben und darin das Mühen um Gerechtigkeit als oberstes Ziel politischen Handelns gekennzeichnet. Für den 96. Deutschen Katholikentag in Saarbürkcne, der unter dem Leitwort steht "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht", ist das ein bedeutsamer Impuls.

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