Ein Leben, mit Literatur verwebt

TRIER. Eine der großen deutschsprachigen Schriftstellerinnen wäre im Sommer 80 Jahre alt geworden: Ingeborg Bachmann. Die Wiesbadener Literaturwissenschaftlerin Wilma Estelmann hat Biografie und Texte der 1973 gestorbenen Künstlerin zu einer Collage verknüpft. 70 Interessierte verfolgten ihre außergewöhnliche Lesung in Trier.

Die erste Todesangst hat Ingeborg Bachmann ihr Leben lang geprägt. Der Einmarsch der Nationalsozialisten in ihrer österreichischen Heimatstadt Klagenfurt sei der Moment gewesen, der ihre Kindheit zertrümmerte, sagte die Schriftstellerin später einmal. Auf diese Erfahrung führt die Wiesbadener Literaturwissenschaftlerin Wilma Estelmann das politische Engagement der Schriftstellerin zurück - gegen Atomwaffen, gegen den Vietnamkrieg, für Willy Brandt. Auch in Bachmanns Literatur findet diese Erfahrung Niederschlag, wie Estelmann bei ihrer szenischen Lesung "Linien der Wirklichkeit" in Trier herausarbeitete. Zu der Matinee hatte "Zonta", eine Vereinigung von Frauen in verantwortlichen Positionen, im Rahmen einer Tagung in der Katholischen Akademie eingeladen. Estelmann wechselte in ihrem Vortrag zwischen Rückblicken auf die Biografie Bachmanns und Ausschnitten aus Lyrik und Prosa der Künstlerin, die sie einordnete, in Bezug setzte und interpretierte. Sie berichtete von Bachmanns ersten Veröffentlichungen in einer Wiener Tageszeitung, von ihrer Begegnung mit der Literaten-Gruppe 47, in der sie schnell zum Star avancierte, von der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung - und davon, wie Bachmann Sprache thematisierte.Wahres Verstehen gibt es nicht

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs müsse man sich einer anderen Sprache bedienen, forderte Bachmann und machte sich an deren Entwicklung. Ihr Credo: "Keine neue Welt ohne neue Sprache." Gleichzeitig blieb Sprache für sie eine "Notbrücke" über die Realität. Wahres Verstehen gab es für sie nicht. Jeder, schrieb sie, bleibe mit seinen Gedanken allein. Mitte der 50er-Jahre verabschiedete sich Ingeborg Bachmann von der Lyrik und wandte sich der Prosa zu. Einen "Umzug im Kopf" habe sie das genannt, berichtet Estelmann, und gesagt: "Aufhören ist eine Stärke, keine Schwäche." Die Literaturwissenschaftlerin erzählte auch von Bachmanns Beziehungen - vor allem der mit ihrem Schriftstellerkollegen Max Frisch, der die gemeinsamen Jahre später in seinem Werk an die Öffentlichkeit zerrte. Sie sprach von Bachmanns Sehnsucht nach der einen, großen Liebe, die nie erfüllt wurde. Und davon, dass Bachmanns berühmter Satz "Die Liebe ist ein Kunstwerk" weitergeht: Es gebe nur wenige Menschen, die dieses Kunstwerk schaffen könnten. Thema waren auch Bachmanns Reisen, nach Prag, Ägypten, in den Sudan. Und immer wieder nach Italien, das Land, das sie besonders liebte - und in dem sie schließlich starb. 1973 geriet in Rom das Bett der durch ihre Tablettensucht geschwächten Schriftstellerin in Brand, wahrscheinlich durch eine Zigarette. Bachmann wurde schwer verletzt und starb einige Tage später im Krankenhaus. "Der passende Schluss zu diesem Leben: So wird Ingeborg Bachmanns Tod immer wieder gedeutet", sagte Wilma Estelmann. Doch das ist der Literaturwissenschaftlerin zu einfach: "Sie hat vielmehr zugelassen, was mit ihr passiert ist. Sie wusste, dass sie in dieser Welt nicht mehr bleiben konnte."

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