Ein Olewiger probt die Reformation

Caspar Olevian war kein guter Schwimmer, deshalb wurde er einer der bedeutendsten Reformatoren in Deutschland. Jedoch scheiterte seine "konfessionelle Revolution" in Trier am Widerstand der katholischen Obrigkeit - trotz starken Rückhalts in der Bevölkerung.



Am Anfang stand das Wort, genau genommen, war da am Anfang das Boot. Denn mit der Theologie hatte der junge, 21-jährige Jura-Student Caspar aus Olewig ("Olevian") bis zu jenem Sommertag im Jahr 1556 noch nicht viel am Hut. Ein paar Jahre zuvor war er nach Bourges zum Studieren gekommen. Damals eine blühende Universitätsstadt mit einer kleinen versteckten evangelischen Gemeinde. Dort sog er die Reformations-Idee in sich auf - aber sich selber der Lehre von Gott, der Theologie, widmen, wollte er nicht. Doch der berühmte "Flügelschlag der Geschichte" sollte das ändern. An jenem Tag ging er an den Ufern des Auron und des Yèvre zusammen mit seinem Freund und Lehrer Nikolaus Jurex spazieren. An einem der Flüsse luden wohl betrunkene Studenten die beiden ein, auf ein Boot zu steigen. Olevian lehnte ab, Jurex nicht. Das Boot erreichte gerade die Flussmitte, da begannen die Studenten im Spiel zu schaukeln. Der Kahn kenterte. Die Studenten fielen ins Wasser. Olevian sprang in die Fluten - er konnte genauso wenig schwimmen wie seine Freunde. Die Hilfe kam zu spät, das Wasser verschluckte die Verunglückten. Olevian geriet selbst in Gefahr. In Todesangst gelobte er, Theologie zu studieren und sich der Mission des Evangeliums zu widmen, wenn er denn überlebte. Tatsächlich eilte am Ufer ein junger Mann herbei und half Olevian zur Rettung. Wie einst Luther mit seinem "Gewittererlebnis" wurde auch Olevian durch eine einzelne Erfahrung erweckt - so will es jedenfalls die evangelische Legendenschreibung, die Olevians Freund Johannes Piscator im "Leben und Werk Olevians" festhielt. "Olevian brauchte diese Legende. Er stand im Verdacht, ein Ketzer zu sein. Eine solche Heiligenlegende half damals, den Vorwurf abzuweisen", sagt Andreas Mühling, Professor für Evangelische Kirchengeschichte an der Universität Trier und Olevian-Experte. Gesichert ist, dass er sein Jura-Studium rasch mit dem Doktortitel abschloss, dann einige Monate als Jurist in Trier arbeitete. Den Beruf gab er aber schnell auf und übersiedelte 1558 nach Genf. Dort wollte er Theologie studieren und sein großes Vorbild sehen und hören, Johannes Calvin. "Calvin und er haben sich gefunden und geliebt", sagt Mühling. Genf war unter dem berühmten Reformatoren zur Hochburg der neuen christliche Lehre geworden.

In Genf bündelte sich die Wucht der Reformation: Der katholische Bischof wurde vertrieben, Glaubensflüchtlinge aus ganz Europa strömten voller Hoffnung in die Stadt, die bald wirtschaftlich florierte. Doch auch Hinrichtungen der sogenannten "Ketzer" fanden statt. Calvin wurde bald krank und konnte nicht mehr lehren - Olevian zog weiter. In Zürich und Lausanne lernte er das "Who is Who" der Reformationsgeschichte kennen: Die Theologen Heinrich Bullinger, Peter Matyr Vermigli und Theodor Beza - bei ihnen lernte er das Prinzip der Irenik, dem Versuch des ausgleichenden Dialogs zwischen den Konfessionen. Doch die geballte Prominenz hielt Olevian nicht in der Schweiz. Im Jahr 1559 folgte ein Ruf aus der Heimat. Denn in Trier hatte sich die Frage nach dem "richtigen" Glauben noch nicht entschieden. Auf dem Papier war die Stadt katholisch. Sie war keine Reichsstadt und konnte deshalb nicht selbst über ihre Religionszugehörigkeit entscheiden. Seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 bestimmte der Landesherr, wie das Volk zu glauben hatte.

Und so blieb die Stadt katholisch, so wollte es der Kurfürst und Erzbischof Johann VI. von der Leyen. Er herrschte von Koblenz aus über die Stadt und sein Umland, das sich links und rechts der Mosel und der Lahn erstreckte. "Er war ein autokratischer Herrscher. Er liebte imposante Auftritte und Machtdemonstrationen", beschreibt Mühling den Erzbischof. Im Inneren von Kurtrier rumorte es. In Trier hatte sich eine reformatorische Minderheit unter der Führung des Bürgermeisters Johann Steuß gebildet. Trier sollte von der Kontrolle des Erzbischofs frei werden. Dabei spielte nicht nur die Suche nach Gott eine Rolle, die Bürger hofften nicht zuletzt, sich am opulenten Besitz und an den Ämtern der katholischen Kirche bereichern zu können. Steuß hatte Olevian im Jahr zuvor kennengelernt. Und Caspar Olevian schien ein geeigneter Kandidat, um für die Sache der Reformation in der Stadt zu trommeln. Im Jahr 1536 wurde er hier als Sohn eines Bäckers geboren. Olevian zog bereits mit 13 Jahren aus, um in Frankreich zu studieren. Nun kehrte er zurück, in "geheimer" Mission im Dienste des Rates. Aus dem Untergrund sollte agiert werden, und so erhielt Olevian eine unauffällige Anstellung als Lateinlehrer. Im Unterricht verbreitete er reformatorische Schriften. Wenn er in der Schule predigte, wurde sie zur Eventhalle. Olevian polterte heftig gegen die katholische Kirche. Rund 500, andere Quellen sprechen von 1500 Trierern, bekannten sich am Ende zur evangelischen Gemeinde. "Ein Verlust der Stadt hätte wohl auch die innenpolitischen Verhältnisse im Reich zugunsten der Protestanten verschoben", sagt Mühling. So verkünden die Räte des Erzbischofs: "Der Katholizismus ist der einzig rechtmäßige Glaube, die evangelische Predigt wird verboten". Auch das Reichsgericht gab dem Landesherrn recht. Olevian predigte jedoch weiter. Johann von der Leyen zog seine Truppen, darunter auch 300 schwarze Reiter, vor die Tore der Stadt. Trier sollte hungern, bis die Rädelsführer ausgeliefert würden. Nach erschöpfender Belagerung fiel kurz darauf die Entscheidung. Am 11. Oktober 1559 - vor 450 Jahren - begab sich Olevian teils freiwillig, teils auf Druck der Bevölkerung in Haft. Nach zehn Wochen Kerker stand er vor der Wahl: Sich zum Katholizismus bekennen oder auswandern. Er wählte wie rund 100 protestantische Familien das Exil. Die Reformation von "unten" in Trier ist damit gescheitert. Kurfürst Friedrich von der Pfalz nahm den Glaubensflüchtling bei sich auf. Im protestantischen Heidelberg holte er den Doktortitel der Theologie nach und verfasste den "Heidelberger Katechismus" mit. Das Handbuch liefert für die meisten reformierten Gemeinden eine Anleitung zum Glauben. Im 450. Jahr nach dem Reformationsversuch ist das Buch in über 40 Sprachen übersetzt worden. 1584 wurde Olevian als Professor für Dogmatik an der neu gegründeten "Hohen Schule" in Herborn eingesetzt. 1587 starb Olevian ohne jemals Schwimmen gelernt zu haben. Patrick Wiermer

Im Caspar-Olevian-Jahr 2009 bietet die Caspar-Olevian-Gesellschaft in Trier mehrere Veranstaltungen. Auftakt ist eine Vorlesungsreihe, die am 4. Februar in der Senioren-Akademie der Evangelischen Kirchengemeinde Trier beginnt. Info: www.olevian.ekkt.de

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