Taunusstein Erst den Müll runterbringen, dann an den HSV denken

Taunusstein · Wie lebt es sich eigentlich als drittklassiger Fußballprofi? Der bodenständige Alf Mintzel (37, SV Wehen) berichtet.

 Kein Protz, keine Plattitüden: Alf Mintzel über sein Leben als Drittliga-Profi.

Kein Protz, keine Plattitüden: Alf Mintzel über sein Leben als Drittliga-Profi.

Foto: dpa/Silas Stein

(dpa) Der Wind pfeift über den leicht verschneiten Halberg im Taunus. Kein einziger Zuschauer hat sich zum Training des SV Wehen Wiesbaden verirrt. Er hätte danach ohnehin zum Auftauen in die Sauna gestellt werden müssen. Die gibt es hier sogar, ansonsten herrscht Drittliga-Tristesse. Alf Mintzel kommt dennoch mit einem breiten Grinsen zur Arbeit. Seit 17 Jahren steht er jeden Tag auf dem Platz. Mit 37 ist der gebürtige Würzburger nach Bremens Claudio Pizarro (40) der älteste Feldspieler im Profigeschäft hierzulande. „Ich hab‘ mit Fußball eigentlich nichts zu tun“, sagt Mintzel.

„Gar nix“, schiebt der Blondschopf nach, „was Grundeinstellung angeht und alles, was so nebenbei läuft“. Wenn Mintzel gefragt wird, was er denn beruflich mache, scherzt er schon mal: „Angestellter.“ Also im Ernst: „Sportler, im Bereich Fußball.“ Die Reaktion? Mintzel verdreht die Augen: „Die Leute haben manchmal das Verständnis: Der fährt mit dem Maserati vor und tritt ein bisschen gegen das Bällchen.“

Dritte Liga. Ob man davon leben kann? Kann man, bestätigt Mintzel. Aber für 100 Prozent der Profis müsse es nach dem Fußball ganz normal weitergehen. In einem Beruf, der einen bis zur Rente bringt. Drittliga-Profis verdienen nach Angaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) einen „mittleren vierstelligen Betrag“ im Monat. Selbst wenn er 500 Millionen Euro hätte, beteuert Skoda-Kombi-Fahrer Mintzel, „würde ich mir keinen Ferrari kaufen, wo ich nicht mal einen Kasten Bier reinkriege.“

In der 2. Liga gibt es nach Mintzels Schätzungen zwischen 200 000 und 500 000 Euro im Jahr. Dort hat er einst auch schon gespielt, bei Kickers Offenbach und der SpVgg Greuther Fürth. Dazu kommt die Station beim SV Sandhausen. Minzel ist rumgekommen im deutschen Fußball, wenn auch nicht in der Bel­etage. 319 Drittliga-Spiele – nur Tim Danneberg vom VfL Osnabrück hat drei mehr.

Mintzel hat „immer Bock auf Bewegung“. Er war mal „sehr schnell“. Das hilft, um immer noch mithalten zu können. Die Sprüche muss er halt aushalten. „Du weißt schon, dass das hier ein JUGEND-Leistungszentrum ist?“ So lautet an diesem Tag die Begrüßung für den Oldie.

„Ich muss den Hut ziehen, wenn einer nach so vielen Jahren immer noch so aktiv und ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft ist. Und jeden Tag mit so einer Freude zum Training kommt und Spaß hat, sich zu quälen“, sagt sein nur drei Jahre älterer Trainer Rüdiger Rehm. Mintzel sei ein Vorbild für viele junge Spieler. Niemals gehe er mit nur 60 oder 70 Prozent auf den Platz.

Auch für die Kabine sei er „extrem wichtig“. Dort nimmt Mintzel schon mal einen Jungprofi beiseite, wenn der Flausen im Kopf hat. Der Routinier ist auch Kassenwart – und als Sohn einer Deutschlehrerin sprachliches Korrektiv: „Wenn jemand dauernd „wie“ statt „als“ sagt – da krieg ich `nen Fön.“ Und wehe, einer kommt mit „hey Alter“.

Demnächst will Mintzel entscheiden, ob er noch ein Jahr dranhängt. Längst ist klar, dass er im Verein auch künftig eine tragende Rolle spielen soll, im Marketing-Bereich. Er hat eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann, ein Fernstudium im Sportmarketing und Management – und ist mehr als eine Nummer im Fußball. Sein gleichnamiger Onkel, Professor der Soziologie und Parteienforscher, ärgert sich, dass der Neffe bei der Google-Suche vor ihm aufploppt.

Und der Vorname? Seine Mutter stamme aus dem norddeutschen Aurich, da sei Alf nicht unüblich. Fast sein ganzes Leben wird Mintzel immer wieder auf die Fernsehserie mit dem Außerirdischen angesprochen: „Gestört hat mich das nie. Alf ist ein Klassiker, den habe ich immer gerne geschaut.“

Mintzel ist eben Kult – zumindest beim SV Wehen Wiesbaden. „Alf wird bei Spielen gefeiert, in denen er gar nicht spielt“, sagt Pressesprecher Guido Rodzinski. Im Abstiegskrimi 2016 schoss Mintzel mit seinem ziemlich schwachen rechten Fuß in der 94. Minute des letzten Spiels genau jenes Tor, das dem SVWW den Klassenverbleib sicherte.

Mintzels Spruch vor dem DFB-Pokalspiel gegen den Hamburger SV im Oktober sorgte über Wiesbaden hinaus für Lacher. „Davor habe ich noch andere Aufgaben: Kinder abholen und die Frau hat bestimmt auch noch 30 Aufträge für mich“, sagte Mintzel damals lachend in die Kameras.

Natascha Mintzel fand das zunächst nicht so lustig. Aber: „Am nächsten Morgen, man glaubt es kaum: Ich hab mir gerade einen Kaffee gemacht, sie war schon zur Arbeit gefahren, ich setze mich an den Esstisch“, erzählt Alf Mintzel. „Da lag ein Post-it! Durchsaugen, Müll runterbringen und noch irgendwas.“

Die beiden kennen sich seit dem Kindergarten. „Sie war bei jedem verdammten Spiel und kennt sich aus“, sagt er. Die Gattin hat ihm auch schon mal per WhatsApp ein „astreines 4-4-2“ geschickt, falls dieser über die Aufstellung grübeln sollte. Tat er aber nicht. Auswärtspartien schaut sie inzwischen meist im Fernsehen mit den Jungs Finn (10) und Jonne (5). „Ich lebe ein Leben wie jede andere Frau mit Mann und zwei Kindern. Der Nachteil ist eben, dass man kein Wochenende wie andere hat und den Urlaub quasi vorgeschrieben bekommt“, sagte Natascha Mintzel.

Eine Nachbarin hat sie mal gefragt: Bist du eine richtige Spielerfrau? Ihre Antwort: „Nein, ich habe keine Louis-Vuitton-Tasche. Also Spielerfrauen kenne ich auch nur aus dem Fernsehen.“

Als Alf Mintzel kürzlich in einer neuen Jogginghose in der Kabine erschien, staunte ein Mitspieler: „Boah, wo hast du denn die geile Hose her?“ Mintzel: „Von Aldi. 9,95 Euro. Kein Witz, die ist Weltklasse.“ Ein Urlaub in Dubai, ganz zu schweigen ein vergoldetes Steak, wie es sich dort kürzlich Bayern-Star Franck Ribéry servieren ließ, ist Mintzel so fremd wie der Schongang beim Spiel. Lieber günstiges All Inclusive mit der Familie oder alleine Angeln am See.

„Können wir noch über Fußball reden?“, fragt Mintzel. Der Unterschied beim Trainings- und Spiel­aufwand zwischen der 3. und 1. Liga sei übrigens „gering, kaum vorhanden“. Klar, im Oberhaus hätten die Clubs mehr Analysemöglichkeiten, größere Trainerstäbe und Krafträume.

Manchmal freut er sich auf die Bundesliga-Konferenz samstags im Fernsehen, wenn er nicht selbst unterwegs ist. Schläft aber oft dabei ein, „weil ich dann denke: Ach, so ein Mittagsschlaf eineinhalb Stunden ist doch geiler.“ Und dennoch: Alf Mintzel macht Fußball „super viel Spaß. Ich liebe dieses Spiel. Ich mag das so gerne.“

(dpa)
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