Es geht um die Wurst: Brühen, braten, Sauce machen Schwarz, Rot, Curry

Die fremden Riten, die exotischen Bräuche, das seltsame Essen. Das gehört alles dazu, wenn man als ranghoher Politiker auf Staatsbesuch ist und ferne Kontinente bereist. Vielleicht erinnert sich George W. Bush noch an den 22. Mai 2002. Jetzt, im Nostalgie-Rausch seiner letzten Tage als mächtigster Mann der Welt.

An die Europareise mit Gattin Laura, als das Präsidenten-Paar zum ersten Mal in Berlin empfangen wurde. Aussteigen am Flughafen Tegel, rein ins pompöse "Adlon", der Friedens-Mob zürnt aus sicherer Entfernung. Und abends lädt Gastgeber Gerhard Schröder zu seinem Lieblingsessen ein: Es gibt Currywurst. Dass sich Mr. President damals nicht für Kanzlers Kostbarkeit erwärmen wollte, war - aus der historischen Totale betrachtet - womöglich nicht einmal Bushs schlimmster außenpolitischer Fauxpas.

Vielleicht wusste er nicht, dass die Currywurst ein Symbol in Deutschland ist. Dass sie besungen, bedichtet und verehrt wird. Dass sie die Loreley der Imbissbude ist: Wo man eng an eng steht, Brioni an Blaumann, gemeinsam benebelt vom Frittenfett. "Kommste vonne Schicht, wat Schönret gibt et nich - als wie Currywurst", schnodderte Herbert Grönemeyer schon 1982: "Bisse richtig down, brauchse wat zu kauen - ne Currywurst." Auch "Tatort"-Legende Schimanski wäre ohne sie nur ein halber Mensch gewesen. Und selbst Guido Westerwelle, der eigentlich nicht als Inbegriff der Bier-und-Pommes-Fraktion gilt, weiß um die Macht des scharf gewürzten Bildes: Vor ein paar Tagen hat der FDP-Chef mit Blick auf die Imbiss-Karte ausgerechnet, was von einem 50 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket übrig bleiben kann, wenn man es nur lange genug auf jeden Einwohner und jeden Monat zerschnetzelt. 3,10 Euro mehr, pro Kopf und Monat. "Das ist eine Currywurst mit Mayo ohne Pommes", rechnete Westerwelle vor.

Rund 800 Millionen Currywürste werden pro Jahr in Deutschland verkauft. Dabei lässt sich der Kantinen-Liebling zwar leicht sezieren, aber es bleibt doch immer mehr als die Summe der einzelnen Scheiben: Brühwurst oder Bratwurst, rot oder weiß, mit Darm oder ohne. Dick oder dünn, mit Ketchup oder Sauce, mit Curry - klar! - oder auch bestäubt mit Blattgold, wie es ein Düsseldorfer Szene-Restaurant vorgemacht hat. Das soll laut Wirt Jürgen Mauermann auch gleich noch bei Rheuma und Erkältung helfen. Da sind die Ernährungswissenschaftler, die den üppigen Fettgehalt monieren, bitte einmal still.

Blattgold? Dafür hätte Herta Heuwer im Berlin der Nachkriegsjahre wohl andere Verwendung gehabt. Sie hatte vor knapp 60 Jahren in Charlottenburg, nahe am Stuttgarter Platz, ihre erste Brühwurst mit Currysauce an die Kundschaft gebracht.

Vor exakt 50 Jahren, im Januar 1959, ließ sie sich die Sauce unter dem Namen "Chillup" patentieren. Heute erinnert an der Stelle der früheren Imbissbude eine Gedenktafel an die 1999 gestorbene Currywurst-Pionierin. Das ist die Geschichte der "Curry" in Kürze. Auch wenn die Hamburger gerne sagen, dass die indische Gewürzmischung, der Ketchup und die Wurst schon 1947 an der Alster zusammengefunden hätten.

So oder so - es ist eine späte Geburt, der man sich auch fast philosophisch nähern kann: Was ist das für eine Menschheit, die schneller zur Atombombe fand als zur Currywurst? "Die Theorie, dass die Currywurst in Hamburg erfunden wurde, basiert vor allem auf Uwe Timms fiktivem Roman ,Die Entdeckung der Currywurst'", sagt Werner Siegert. Die belegbaren Fakten sprächen aber für Berlin als Heimat des Imbiss-Klassikers. Der 78-jährige Unternehmensberater und Kabarettist aus München hat die Broschüre "Der kleine, aber absolut unentbehrliche Currywurst-Knigge" herausgebracht, eine nicht ganz bierernste Hommage an die Currywurst. Qualitäts-Unterschiede hat Siegert dabei in punkto Zubereitung ausgemacht. Das untere Ende der Evolution hat wahrscheinlich jeder irgendwo schon einmal erlebt: Kalter Curry-Ketchup aus der Plastikflasche spritzt auf die seit Stunden auf der Alufolie darbende Wurst, die nicht nach glücklichem Schweine-Leben aussieht.

Aber wie sieht die vollkommene Currywurst aus? Zum Beispiel so, findet Siegert: "Eine sehr gute gab es in München am Bahnhof. Die Wurst wird zuerst schräg aufgeschnitten, damit sie mehr ‚Wange' erhält. Anschließend wird sie in einer natürlich selbst gemachten Currysauce angebraten." Dabei seien manche bei der Sauce durchaus erfinderisch: "Banane, Honig, Ingwer oder Anis - das gab es alles schon in Currysaucen", sagt Siegert. Ein recht neuer Trend ist zudem, dass Currywürste zur Mutprobe werden - dank höllischer Schärfe. Die Zeiten für die Currywurst waren dabei schon goldener. Ab den 70ern und 80ern drängten immer mehr Döner-Läden und amerikanische Fastfood-Ketten auf den Markt. Es sah so aus, als würde es bald nicht mehr um die Wurst gehen. "In Berlin - aber auch in anderen Städten - gab es einen Verfall der Currywurst-Kultur", beklagt Siegert. Das Staatstragende, Schichten-versöhnende der Currywurst ist zugleich ihr Fluch: Das Imbiss-Angebot in Deutschland ist vor allem in den Metropolen immer vielfältiger geworden. Die Currywurst spielt dagegen im Ausland keine nennenswerte Rolle. Und wie steht es um die Zukunft der Currywurst? Schimanski ermittelt nicht mehr. Schröder ist kein Kanzler mehr. Grönemeyer lebt längst in London, der Currywurst-Diaspora. Für Siegert ist derweil kein Ende der Wurst-Legende in Sicht: "Die Leute haben weniger Geld und werden wohl auch seltener in Restaurants essen. Zum Imbiss werden sie aber immer noch gehen." 3,10 Euro bekommen die meisten gestemmt. Und die Mayo dazu muss ja auch nicht sein. Andreas Feichtner

Regionale Varianten: Bei der Currywurst gibt es je nach Region große Unterschiede. In Berlin gibt es etwa Currywurst mit oder ohne Darm. Dabei werden Brühwürste verwendet. In der Region Trier werden - wie auch im Ruhrgebiet von Schimanski (Götz George) bevorzugt - Bratwürste verwendet.

Currysauce zum Selbermachen: Zutaten: Flasche Tomatenketchup, 2 Zwiebeln, 3 EL Balsamico-Essig, 2 EL Honig, 2 EL Currypulver, etwas Chilipulver oder Cayenne-Pfeffer, 1 Spritzer Sojasauce, Olivenöl, Tomatenmark, Wasser.

Zubereitung: Die geschnittenen Zwiebeln in Olivenöl glasig dünsten. Etwas Tomatenmark dazu und mit etwas Wasser ablöschen. Ketchup dazugeben. Essig und Honig dazu und bei kleiner Hitze leicht köcheln lassen. Der Essig darf nicht zu schnell verdampfen. Dann die Sojasauce dazu und die anderen Gewürze. Gut umrühren, eventuell Wasser hinzufügen. Abschmecken, ob noch etwas Curry oder Chili dazu soll. (Tipp aus chefkoch.de)

Literatur: Werner Siegert: Der kleine, aber absolut unentbehrliche Currywurst-Knigge - Herbert Utz Verlag, München 2005.

Uwe Timm: Die Entdeckung der Currywurst - Novelle (1993). (red)

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