Kirche EU-Gerichtshof setzt Kirche Grenze

Luxemburg/Bonn · Religionszugehörigkeit darf nicht immer gefordert werden.

 Vor blauem Himmel zeichnen sich eine Statue vor dem Alten Museum in Berlin und dem Kuppelkreuz des Berliner Doms ab.

Vor blauem Himmel zeichnen sich eine Statue vor dem Alten Museum in Berlin und dem Kuppelkreuz des Berliner Doms ab.

Foto: dpa/Arno Burgi

(KNA) Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht bei jeder Arbeitsstelle von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit fordern. Das entschied der Europäische Gerichtshof. Wichtige Fragen dazu:

Warum gibt es ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht in Deutschland?

Die arbeitsrechtlichen Bedingungen für die über 1,3 Millionen Mitarbeiter der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände unterscheiden sich erheblich von den für andere Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen. Grundlage dafür ist das Grundgesetz, das den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit Blick auf die Religionsfreiheit ein weitgehendes Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht einräumt. Damit unterscheidet sich Deutschland deutlich von anderen europäischen Staaten, die den Kirchen eine solche Sonderstellung nicht einräumen.

Was besagt das Arbeitsrecht der Kirchen?

Von Kirchenmitarbeitern in Deutschland wird eine gewisse Übereinstimmung mit den kirchlichen Glaubens- und Moralvorstellungen auch im Privatleben erwartet. Grundsätzlich verlangen die Kirchen von allen Mitarbeitern, dass sie der jeweiligen Konfession angehören. Es gibt aber Ausnahmen für andere christliche Konfessionen und zunehmend auch für Anders- und Nichtgläubige. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflichten – etwa Kirchenaustritt – kann, nach Konfession unterschiedlich, abgestufte arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich ziehen.

Was sagen die Gerichte zum eigenen kirchlichen Arbeitsrecht?

Das kirchliche Arbeitsrecht steht seit einigen Jahren zunehmend unter Rechtfertigungsdruck; mehrfach wurden die Gerichte damit befasst. Bei den meisten Fällen ging es um die Abwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Religionsfreiheit und den individuellen Menschenrechten der Beschäftigten auf Meinungs- und individuelle Glaubensfreiheit, das Recht auf Privat- und Familienleben oder Schutz vor Diskriminierung etwa aufgrund von sexueller Orientierung oder Religionszugehörigkeit.

Der Europäische Gerichtshof forderte in den vergangenen Jahren in mehreren Fällen eine Abwägung in jedem Einzelfall und je nach Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag. Er betonte stärker die individuellen Menschenrechte. Dagegen stärkte das Bundesverfassungsgericht eher das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Die staatliche Neutralität verbiete es den Gerichten, eine eigene Bewertung religiöser Normen durchzuführen.

Worum ging es im konkreten Fall?

Es ging um eine Abwägung der Regelungen der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie mit dem Recht der Kirchen auf eine eigenverantwortliche Auswahl ihrer Mitarbeiter. Die konfessionslose Vera Egenberger hatte sich auf eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben und wurde wegen Konfessionslosigkeit abgelehnt. Sie sieht darin eine unzulässige Diskriminierung und einen Verstoß gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie.

Warum wurde der Europäische Gerichtshof eingeschaltet?

Das Bundesarbeitsgericht hat dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, inwieweit berufliche Anforderungen, die von religiösen Organisationen unter Berufung auf das Privileg der kirchlichen Selbstbestimmung gestellt werden, gerichtlich überprüft werden können. Das Bundesarbeitsgericht betonte, nach deutschem Recht sei diese gerichtliche Überprüfung lediglich auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkt, die auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses erfolgen müsse.

Wie hat der Gerichtshof in Luxemburg entschieden?

Der Gerichtshof betonte am Dienstag, dass kirchliche Arbeitgeber nicht völlig frei entscheiden können. Wenn sie von Stellenbewerbern die Kirchenmitgliedschaft verlangen, muss dies Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können. Zwar stehe es den staatlichen Gerichten in der Regel nicht zu, über das Ethos kirchlicher Arbeitgeber als solches zu befinden. Die Gerichte hätten aber festzustellen, ob die Forderung nach einer bestimmten Konfession mit Blick auf dieses Ethos im Einzelfall „wesentlich“, „rechtmäßig“ und „gerechtfertigt“ sei. Zur Bedingung dürfe die Zugehörigkeit zu einer Konfession nur gemacht werden, wenn dies für die Tätigkeit „objektiv geboten“ sei. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, und die Anforderungen dürften nicht über das Erforderliche hinausgehen.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Licht des EuGH-Urteils muss nun das Bundesarbeitsgericht entscheiden, ob der Klägerin die von ihr geforderten rund 10 000 Euro Entschädigung zustehen.

(kna)
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