Fabeln über das Fremde

Ein pralles Werk in der prallvollen Tufa: Vor gut 200 Besuchern las Ilija Trojanow aus seinem Erfolgsbuch "Der Weltensammler", der Geschichte des Kolonialoffiziers und Abenteurers Richard Burton.

 Eindrucksvoller Ausdruck: Ilija Trojanow machte seinen „Weltensammler“ noch plastischer. TV-Foto: Frank Göbel

Eindrucksvoller Ausdruck: Ilija Trojanow machte seinen „Weltensammler“ noch plastischer. TV-Foto: Frank Göbel

Trier. (fgg) Orientalische Musik klingt durch den dunklen, fast voll besetzten Saal der Tuchfabrik. Das passt, spielt doch die Handlung von "Der Weltensammler", aus dem Autor Ilija Trojanow gleich vorlesen wird, teilweise in Arabien und auf dem indischen Subkontinent. Später wird der 42-Jährige den etwa 200 Besuchern erläutern, dass das Gehörte von einem reiselustigen Minnesänger komponiert wurde. Der schaffte es im 15. Jahrhundert bis nach Indien und brachte von dort ungehörte Tonskalen und Rhythmen in die europäische Musik ein. Solche Menschen faszinieren Trojanow: Die Grenzen neugierig und abenteuerlustig überquerend, um von anderen Kulturen zu lernen. Und die Grenzen dabei ein wenig zu verwischen.Solche Menschen versteht Trojanow auch gut, weil er selbst durch seine Biografie einer ist, der das Attribut "multikulturell" unvermeidlich macht: Geboren in Bulgarien, verschlug es ihn in jungen Jahren mit seiner Familie nach Italien, Deutschland und dann nach Kenia, wo der Vater als Ingenieur arbeitet. Er lebt später in Nairobi, dann in München, wo er auf afrikanische Werke spezialisierte Verlage gründet. Nächste Station: Kapstadt, später Indien.Trojanow verfasst Sachbücher und Reiseführer über bekanntes Terrain und erkundet literarisch neues, indem er etwa eine Science-Fiction-Dystopie "live" im Internet schreibt.Sein Roman "Der Weltensammler" überzeugt 2006 Kritiker wie Publikum: Multiperspektivische Episoden zeichnen das Leben des britischen Offiziers Richard Burton nach. Der entwickelt, im 19. Jahrhundert im kolonialen Auftrag des Imperiums in Indien und Afrika unterwegs, echten Respekt und eine Zuneigung zu den zu erobernden Welten. Angewidert entfremdet sich Burton zunehmend von seinem Auftrag und seinen Landsleuten.Abwechselnd mit Ausschnitten aus dem Hörbuch, liest Trojanow Ausschnitte aus dem Bestseller mit warmem, unaufgeregtem Timbre: pralle Texte wie die tragische, existenzielle Fabel einer unfreiweilligen Femme fatale, die zu lieben den Tod bedeutet: Durch schrittweise, niedrigdosierte Vergiftung selbst immun, ist schon ihre Umarmung tödlich - und ihre Tränen. Dabei ist der Roman neben einer ungeheuer atmosphärischen Reiseerzählung auch eine Reflektion über das Fremde und die Relativität der Heimat.Der charismatische, grau melierte "Gegen-Huntington", der recht optimistisch die Annäherung der Kulturen konstatiert, rezitiert später genüßlich und publikumswirksam eine Stelle aus dem Weltensammler. Darin karikiert der exzentrische Protagonist bei einem Bankett den Hurra-Patriotismus eines hochdekorierten Militärs mittels eines derben Witzes: Zwei Bandwürmer schauen aus dem Fladen, der gerade irgendwo auf den Boden fiel, und der eine sagt: "Nun, immerhin ist es Heimat."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort