Ganz oder gar nicht

TV höchst persönlich zu Besuch bei Bundesliga-Schiedsrichter Herbert Fandel in Kyllburg

Manche Leute wohnen so, wie andere sich ihr Urlaubsdomizil wünschen. Ruhig, viel Grün, schöne Aussicht, ausreichend Abstand zum Nachbarn. Wer jeden Samstag die geschrieenen, gepfiffenen und getrommelten 120 Dezibel eines voll besetzten Fußballstadions aushalten muss, genießt wahrscheinlich die Lautlosigkeit eines Eifel-Städtchens um so bewusster.Dabei war es gar nicht die Erholung vom Fußball, die Deutschlands Schiedrichter des Jahres, Herbert Fandel, einst in den Hügeln über dem idyllischen Kyllburg siedeln ließ. Der studierte Pianist suchte ein Haus, in dem er üben konnte, ohne hellhörige Nachbarn in den Wahnsinn zu treiben.

Vielleicht sieht man dem Fandel'schen Heim deshalb bis heute den Musiker viel deutlicher an als den Fußballer. Zwei Flügel im Wohnzimmer, darunter ein 200 Jahre altes, liebevoll restauriertes Kleinod, ein hölzerner Sekretär, unter dessen unauffälliger Schreibtischplatte sich weiß-schwarze Tasten verbergen, ein Harmonium im Flur, dazu reichlich Notenhefte und -blätter: Da fallen die zwei, drei Fußball-Insignien, die einen Platz in der Wohnungs-Dekoration ergattern konnten, weder ins Auge noch ins Gewicht.

Trophäen und Wimpel in der Keller verbannt

Herbert Fandel hat die Trophäen, Wimpel, Urkunden, Pokale in den Keller verbannt. Gelegentlich dürfen die Klavierschüler, die schon mal in Bayern- oder Schalke-Trikots zum Unterricht anrücken, in den Andenken-Kisten stöbern. Aber Fußball-Memorabilia in der Wohnung? Da zieht Fandel, der Stilist, die Mundwinkel nach unten.

Es wäre auch schade um die Bilder, die der Wohnung kräftige Farbtupfer verleihen. Kein Kitsch, aber auch keine Avantgarde. Er sei ein "moderner Konservativer", sagt Herbert Fandel in anderem Zusammenhang. Will heißen: bodenständig, geradlinig, ohne Angst vor Innovationen, aber auch ohne das Bedürfnis nach all zu waghalsigen Experimenten. Da muss es kein Zufall sein, dass er sich als "Eifelaner mit Haut und Haaren" einstuft. Auch wenn er das erst "spät bemerkt" hat und bei seiner beginnenden Künstler-Laufbahn "gern verdrängen wollte". Inzwischen würde der "eigentliche Bettinger, im wesentlichen aber Rußdorfer" mit keinem Städter tauschen. Und auf eindringliche Nachfrage räumt er sogar ein, "eine Spur der sprichwörtlichen Eifeler Dickschädeligkeit" könne auch bei ihm vorhanden sein. Aber seine Frau, darauf legt er Wert, habe ihn schon "viel weicher gemacht".

Das merkt man nicht unbedingt auf den ersten Blick. Der 41-Jährige wirkt so, wie es da neudeutsche Wort "taff" beschreibt: selbstsicher, selbstbewusst, zielorientiert. Kurzes Nachdenken, dann knappe, klare Antworten, auch auf schwierige Fragen. Wenn sich dahinter ein Grübler verbirgt, dann verbirgt er sich gut. Das passt zum Schiedsrichter Fandel - aber zum Konzertpianisten auf den ersten Blick nicht. Da erwartet man eine vergeistigte Gestalt, einen Tastenzauberer mit esoterischem Touch. Klavierspielen, das hat doch mit der ewigen Wiederholung zu tun, dem zeitlosen Drang zur Perfektion, dem geduldigen Üben. Und Schiedsrichter sein, besteht das nicht in schnellen, hektischen, spontanen, unwiederbringlichen Entscheidungen?

Man sieht Herbert Fandel an, was er in diesem Moment denkt: So kann nur fragen, wer weder von dem einen noch von dem anderen Ahnung hat. Und dann holt er doch mal etwas weiter aus, erzählt von den spontanen Entscheidungen, die man während jedes Klavierkonzerts fällen müsse, und von der Geduld und den ewigen Wiederholungen beim Pfeifen eines Fußballspiels. Einen Moment lang ahnt man, dass der Schiri und der Pianist vielleicht doch nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Und da gibt es noch mehr Parallelen: Die Macht über die Interpretation eines Stücks, und die Macht über die Interpretation eines Foulspiels. Chopin ist, was Rubinstein spielt. Elfmeter ist, wenn der Schiedrichter pfeift. Macht? Das Wort sei vielleicht "eine Spur zu hart", sagt Fandel. Aber "die Zügel in der Hand zu halten", sei schon eine "unglaubliche Aufgabe".

Und da ist auch noch das Publikum. Er sei "ein Podiumsfreak", bekennt Fandel, er genieße "die Gewalt des Moments", wenn die Masse sich artikuliert. Aber da gibt es auch einen großen Unterschied: Der Pianist ist der Held, die Identifikationsfigur. Der Schiedsrichter ist dann am besten, wenn man ihn gar nicht bemerkt. Er habe "erst mit der Zeit gelernt", dass man "auf dem Spielfeld nichts demonstrieren muss". Vielleicht unterscheidet ihn das auch von weniger erfolgreichen Kollegen.

Inzwischen hat seine Prominenz als Schiedsrichter die des Musikers weit überholt. Mit der kuriosen Wirkung, dass zu den raren Auftritten des Pianisten Fandel heute hunderte von Leuten strömen, während er früher Mühe hatte, einen Auftrittstermin zu bekommen. "Da lach' ich mich innerlich tot", sagt er, schließlich habe er "vor 15 Jahren viel besser gespielt". Eigentlich sei das "ziemlich pervers".

Die Prominenz hat auch ihre schönen Seiten. Ein Satz wie "Wenn ich Franz Beckenbauer das nächste Mal treffe..." geht Herbert Fandel leicht über die Lippen. Aber das klingt weder kumpelig noch aufgeblasen, und wenn er hinzufügt, der Franz sei "ein Pfundstyp" und könnte "eigentlich ein Eifelaner sein", dann zweifelt selbst ein eingefleischter Bayern-Hasser an seiner festgefahrenen Meinung, der Kaiser sei ein ziemlich arroganter bajuwarischer Pinsel.

Wir sind schon wieder beim Fußball gelandet. Dabei wollten wir über den Privatmann Fandel reden. Gibt's den überhaupt? Klar doch, da ist Ehefrau Petra, da sind die Kinder Yannes (10) und Nina (8), ein intaktes Familienleben, ein traumhaftes Haus. Aber bei einem, der 180 Tage im Jahr in Sachen Fußball unterwegs ist und nebenbei einen Fulltime-Job als Leiter der Kreismusikschule macht, bleibt sonst nicht mehr viel. Zumal dann nicht, wenn man wie Herbert Fandel einer ist, der ungern halbe Sachen macht. Wäre es nicht die stringente Karriere am Fußball-Firmament gewesen, er würde wahrscheinlich heute in großen Philharmonien gastieren. Als Politiker, so wenig er sich das vorstellen kann, wäre er wohl Minister. Aber da wäre er von anderen abhängig, zu sehr vielleicht für einen, der von sich sagt, er sei zwar teamfähig, aber die eigene Handschrift sei ihm doch enorm wichtig.

Die kann er am Klavier oder auf dem Fußballplatz besser pflegen als in jedem anderen Beruf. Womöglich wäre er aber auch ein großer Wein-Kritiker geworden. Vor ein paar Jahren, erzählt Herbert Fandel, habe er nicht das geringste vom Wein verstanden und sich immer geärgert, wenn sein Schiri-Kollege Alfons Berg mit seinen Kenntnissen glänzen konnte. Inzwischen kann sich der Weinkeller in Kyllburg sehen lassen, zum Vierzigsten gab's einen komfortablen Weinkühlschrank, und daneben prangt ein deckenhohes Regal mit Fachliteratur. So hält es Herbert Fandel eben: Ganz oder gar nicht. Dieter Lintz

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