Gemeinsame Wurzeln

Wichtiges Bindeglied im deutsch-jüdischen Dialog: Das Emil-Frank-Institut in Wittlich

Er war mit Leib und Seele Wittlicher - und Deutscher ohnehin. Emil Frank, letzter Vorsteher der jüdischen Gemeinde in der Kreisstadt an der Lieser, wurde 1878 geboren und übernahm im Jahr 1912 das Textilgeschäft, das sein Großvater gegründet hatte. Er war verhältnismäßig wohlhabend, angesehen, wegen seiner Ehrlichkeit respektiert und wegen seiner Freundlichkeit, Güte und Hilfsbereitschaft beliebt. Sogar aus der amerikanischen Emigration schickte er in der Nachkriegszeit Lebensmittelpakete an ehemalige Angestellte.Bis 1936 stand er der Wittlicher jüdischen Gemeinde vor. Als ihm die Feindseligkeit der Nazis die Existenzgrundlage entzog, ließ er sich in Koblenz nieder. 1941 floh er, in letzter Minute, vor den Nazi-Schergen in die USA, fand einen Wohnsitz in Utica/US-Bundesstaat New York und verstarb dort im Jahr 1954. Deutschland hat er nie wiedergesehen.

Nicht allein die Wittlicher Herkunft des jüdischen Deutschen, der zum Amerikaner wurde, hat Reinhold Bohlen bewogen, das von ihm gegründete Institut "Emil-Frank-Institut" zu nennen. In der Namensgebung schwingt auch der Wille mit, die Erinnerung an die bedeutende Wittlicher Judengemeinde zu bewahren. Und noch mehr: Immer wieder die Frage zu stellen, wie eine scheinbar zivile, funktionierende, bürgerlich-ordentliche Gesellschaft Menschen aus ihrer Mitte ausgliedern, vertreiben und töten konnte. Und wie sie nach 1945 damit umging. "Nach dem Krieg hat es vier Jahrzehnte gedauert, bis sich Wittlich mit dem Judentum in der eigenen Stadt beschäftigt hat", sagt Reinhold Bohlen.

Wichtige Scharnier-Funktion

Der Trierer Theologieprofessor hatte 1992 gemeinsam mit Maria Wein-Mehs, der Tochter des ehemaligen Wittlicher Bürgermeisters, eine Monografie über den jüdischen Friedhof in Wittlich veröffentlicht. Die Situation für eine Institutsgründung war günstig. Auf Initiative des Wittlicher Bürgermeisters Helmut Hagedorn verfasste Bohlen eine Projektskizze, und tatsächlich gelang fünf Jahre später die Umsetzung. Das Institut bezog 2000 einen Trakt im ehemaligen Wirtshaus von Mathias Joseph Mehs, die Sachkosten trägt die "Stiftung Stadt Wittlich" und die Aufwendungen für die Personen die Theologische Fakultät Trier. "Emil-Frank-Institut an der Universität Trier und an der Theologischen Fakultät Trier" heißt die Einrichtung mit vollem Namen. Neben dem Leiter Reinhold Bohlen arbeiten Marianne Bühler, Hans-Joachim Cristea und Axel Berger als pädagogische oder wissenschaftliche Mitarbeiter. Das Emil-Frank-Institut ist keine Einrichtung, die sich nur auf Forschung konzentriert. Sie ist ein Scharnier - zwischen Wissenschaftlern und Bevölkerung, zwischen Christen und Juden, auch zwischen den Älteren, die Nazismus und Nachkriegszeit bewusst erlebten und vielfach sprachlos geblieben sind, und den Jüngeren, für die der millionenfache Judenmord ein Stück Geschichte ist - abstrakt und weit entfernt. Darum veranstaltet das Institut neben der Forschung, vor allem zur lokalen Geschichte des Judentums, auch Vorträge und Seminare, Exkursionen zu Zentren jüdischen Lebens, Studientage für Lehrer. Ein "Medienkoffer" mit wichtigen Gegenständen des jüdischen Kultus‘ kann von Schulen ausgeliehen werden und damit den jungen Menschen gewissermaßen zum Anfassen verdeutlichen, was jüdische Frömmigkeit bedeutet. Die Akzeptanz ist generell groß. "Manchmal haben wir 500 bis 600 Schüler im Hause", sagt Reinhold Bohlen.

Zentrum des Instituts ist zweifellos die Bibliothek, deren Bestände im modernen Medienzeitalter CDs, DVDs, Videokassetten und Hörbücher einschließen. "Wir haben hier bei Null angefangen", erklärt Pressereferent Axel Berger mit einem Unterton von Genugtuung. Mittlerweile stehen 8000 Medieneinheiten in den Regalen. Neben den Schwerpunkten Geschichte, Religion und Philosophie des Judentums, neben einer Bibelabteilung ist auch Literatur zu aktuellen politischen Fragen, vor allem zum Nahostkonflikt zugänglich - und natürlich zu bedeutenden Persönlichkeiten des Judentums. Wie zu Leo Baeck, dem Rabbiner, dem letzten großen Repräsentanten des liberalen Judentums und der einsamen, großen Autorität im Getto Theresienstadt. Oder auch die Briefe von Gershom Scholem, dem jüdischen Philosophen, der der Frankfurter Schule um Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Walter Benjamin nahestand. Im Magazin unterm Dach liegt weiteres Material, unter anderem zu Musik und Kunst im Judentum.

Die Bestände lassen sich über die Wittlicher Stadtbibliothek, direkt im Nebengebäude, ganz unkompliziert nutzen. Fast 1800 Entleihungen bei damals 7000 Medien wurden im vergangenen Jahr registriert. Hinzu kommt die Nutzung an Ort und Stelle. Nichts belegt besser als diese Zahl: Das Emil-Frank-Institut erreicht die Menschen. Es fördert das Miteinander von Deutschen und Juden ganz konkret, in dem es Wissen vermittelt.

Wie kann ein Deutscher sich in seinem Verhältnis zum Judentum überhaupt orientieren in dem undurchsichtigen Dickicht aus Betroffenheitskult und Ignoranz, aus bemühter Judenfreundlichkeit und wieder aufkeimendem Antisemitismus? Dazu noch in einer politischen Situation, die den Beifall für die israelische Seite nicht unbedingt herausfordert. Das Wichtigste ist, an die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen zu erinnern. "Wir müssen auch das Alte Testament neu betrachten", sagt Axel Berger. Solche Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu pflegen, kann Basis werden für eine Begegnung, die nicht in oberflächlicher Konversation steckenbleibt. "Es muss uns gelingen, Juden und Nichtjuden unbefangen ins Gespräch zu bringen", sagt Reinhold Bohlen. Das kann nur bedeuten: Vergangenheit muss präsent bleiben, aber sie darf die Gegenwart nicht erdrücken.

Für diesen schwierigen Balanceakt bietet das Emil-Frank-Institut mannigfache Hilfe an. Seine Existenz ist ein Gewinn. Nicht nur für die Stadt Wittlich, die damit zu einem Zentrum des deutsch-jüdischen Dialogs geworden ist, sondern für alle, die ernsthaft die Verständigung suchen - über alle historischen und persönlichen Barrieren und die mit ihnen verbundene Sprachlosigkeit hinweg.

Am Sonntag, (4. September) begeht das Institut gemeinsam mit der Jüdischen Kultusgemeinde Trier den europaweiten "Tag der Jüdischen Kultur" und lädt zugleich zum "Tag der offenen Tür" ein - mit koscheren Speisen und Getränken und jüdischen Liedern, bei gutem Wetter auf der Gartenterrasse mit Blick über die Wittlicher Altstadt. Von 12 bis 18 Uhr. hpl/jölMartin Möller

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