„Ich lebe meinen Beruf“

Wer eine Homestory über Josef Peter Mertes schreiben will, steht gleich zu Beginn vor der entscheidenden Frage, wo er sie eigentlich ansiedelt. Im schmucken, aber keineswegs luxuriösen Einfamilienhaus im Schweicher Stadtteil Issel, wo seine Privatadresse firmiert? Oder doch lieber gleich im Kurfürstlichen Palais, um das die Gedanken des ADD-Präsidenten kreisen, egal, ob er gerade offiziell im Dienst ist oder nicht?

„Ich lebe meinen Beruf“, sagt Mertes – als müsste er das noch eigens betonen. Jeden privaten Gesprächsfaden, den der Reporter listig anknüpft, lässt er nach wenigen Sätzen wieder in Amtsgeschäften münden. Geschickte Taktik, um vom Privatleben abzulenken? Kaum. Die Arbeit ist ihm Aufgabe, Hobby, Berufung, Erfolgserlebnis und Broterwerb zugleich. „Für etwas anderes hatte er nie Zeit“, sagt Ehefrau Annemarie, aber es klingt weder resigniert noch bitter. Einen wie Josef Peter Mertes muss man einfach machen lassen, sonst würde er gnadenlos verkümmern.

Eigentlich hätte er Friseur werden sollen

Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, was er macht. Eigentlich hätte er wie sein Bruder Friseur werden sollen, aber eine Asthma-Erkrankung verhinderte, dass er in den väterlichen Salon einstieg. Stattdessen lernte er Industriekaufmann bei der Trierer Firma Laeis. Trotz bester Prüfungsergebnisse gab er sich damit nicht zufrieden. Abendgymnasium, Studium der Sonderpädagogik. Man vertraute ihm die Leitung einer Sonderschule an, eigentlich nur ein Interims-Projekt zur Überbrückung einer Vakanz. Er machte daraus eine der angesehensten Schulen der Region. Zwischendurch widmete er sich der wissenschaftlichen Arbeit, hielt Vorträge an Hochschulen, promovierte nebenbei. Eine Professorenstelle winkte, aber da war ja auch noch die Politik.

Zielstrebig machte sich der Sozialdemokrat auf den Weg Richtung Landtagsmandat. Ein Mann für die hinteren Bänke war er nie: Kaum in Mainz angekommen, stieg er zum einflussreichen Haushaltspolitiker auf. Und dann, Krönung der Karriere, machte ihn Ministerpräsident Beck zum Chef der wichtigsten Landesbehörde. „Ein Traumjob“, sagt der 58-Jährige heute. Aber hätte man ihn auf jeder anderen Station seiner Karriere gefragt, die Antwort wäre kaum anders ausgefallen. Die Mentalität, jede Situation als Chance zu empfinden, aus der man das Beste machen kann, hat was von „Hans im Glück“ – nur dass Cleverle Mertes bei jedem Tausch darauf achtet, dass er hinterher besser dasteht als vorher. Dazu passen die Gesellschaftsspiele, die er, „leidenschaftlich gern“, mit den beiden erwachsenen Kindern und vor allem seinem Enkel spielt. Zur Zeit ist „Bohnanza“ Favorit, wo es darum geht, mit den Mitspielern auf Teufel komm raus zu schachern und zu handeln. Im Regal stehen „Risiko“ und „Die Macher“ – da lebt einer seinen Beruf bis in den Spieleschrank.

Wäre die Leidenschaft für den Job mit verbiesterter Verbissenheit gekoppelt, es ließe sich schwerlich mit ihm aushalten. Aber Mertes ist ein Kommunikationstalent, bisweilen auch ein Schlitzohr. Ab und an gewährt er mit diebischer Freude Einblick in seine Trick-Kiste. Dann lässt er auch schon mal durchblicken, dass ihm die Berufserfahrung als Sonderpädagoge wichtige Impulse für die Arbeit als Politiker und später als Behördenchef geliefert hat. Dass ihm der Job Spaß macht, ist nicht zu übersehen. Wer freilich aus der stets verbindlichen Tonart und der fast schon notorisch guten Laune den Schluss zöge, man könne mit dem ADD-Chef „et Hännesjen machen“, muss mit einem bösen Erwachen rechnen.

Josef Peter Mertes weiß Macht auszuüben, auch wenn er es lächerlich findet, geschmückt mit den Insignien der gewichtigen Funktion durch die Gegend zu laufen. „Ich war schon immer ein bisschen der Anführer“, sagt er von sich selbst. Aber wer ihn näher kennt, ahnt, dass es ihm darum geht, etwas zu bewegen, nicht darum, etwas zu sein. Vielleicht verträgt er sich deshalb auch ungewöhnlich gut mit „Machertypen“, die politisch einer ganz anderen Richtung angehören. Wo er das Gefühl hat, dass er etwas bewegen kann, gibt es für Mertes weder Zeit noch Raum. Im heimischen Keller hat er sich eine Büro-Ecke eingerichtet, mit geschütztem Direkt-Zugang ins Datensystem seiner Behörde, die er übrigens meist „die Firma“ nennt. Da kann er nach Herzenlust in jeder freien Minute elektronische Akten studieren, seinen akribisch geführten Terminkalender bearbeiten, Sitzungen vorbereiten, Notizen verfassen. Auch sein Dienstwagen sei „ein rollendes Büro“, bekennt er, es darf ja schließlich keine Zeit verschwendet werden. Bei so viel Zielstrebigkeit bleibt manches auf der Strecke.

Wer Jahrgang ’46 ist, zu dessen Biografie gehört meist zumindest episodenhaft eine wilde 68er-Zeit, mit Rockmusik, Rauschebärten, ein bisschen Ausflippen eben. „Dafür hatte ich nie Zeit“, sagt Mertes, aber er macht nicht den Eindruck, als würde er es im Nachhinein vermissen. Wenn es bei jemandem im Leben stets gelaufen ist „wie geschmiert“, dann ist ein plötzlicher Getriebeschaden um so schockierender. Bei Josef Peter Mertes wurde vor drei Jahren eine schwere Darmkrebs-Erkrankung diagnostiziert. Was manchen dazu bewegt hätte, sein ganzes Leben zu überdenken, sich gar auf den Ruhestand einzustellen, begriff der damals 55-Jährige als zu erledigende Aufgabe. „Ich muss das jetzt eben hinter mich bringen“, habe er seinerzeit gedacht, „andere Alternativen wollte ich gar nicht an mich ranlassen“.

Kaum wieder bei klarem Kopf, ließ er sich Akten ins Spital bringen. Die Reha-Klinik suchte er sich so aus, dass seine im Land verteilten Dienststellen zum Rapport antreten konnten. Mit dem Land verhandelte er vom Krankenbett aus über Finanzfragen („Die konnten einem kranken Mann ja schlecht was abschlagen“). Und als eiserner Fixpunkt wurde die Weihnachtsansprache im Amt anvisiert: „Die wollte ich unbedingt selbst halten.“ Das Wunder gelang. Wer ihn damals sah, konnte nur staunen über die Vitalität, die er äußerlich und innerlich ausstrahlte. Dass der Sieg über seine Krankheit mit dem Handicap eines künstlichen Darmausgangs einherging, daraus machte er nie ein Geheimnis, im Gegenteil. Seine Erfahrung: „Es macht mich frei, wenn man so was öffentlich behandelt“.

Würde er nicht ab und zu über seinen Schwerbehindertenausweis witzeln, wäre das Thema längst aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Kaum vorstellbar, dass das Perpetuum mobile irgendwann in den Ruhestand gehen könnte. „Dann werde ich ihm endlich das Kochen beibringen“, sagt seine Frau. Wenn es so geht wie immer, dann können sich die Sterne-Köche der Region schon mal warm anziehen.

Dieter Lintz

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