Junge Winzer: „Sie konzentrieren sich wieder darauf, Riesling-Weltmeister zu sein"

Trier · Individuelle Weine nach bester Handwerkstradition und Qualität: Junge Winzer verfolgen konsequent ihre Philosophie und spielen auf der Klaviatur der Vermarktung Auf knapp 13.000 Hektar entlang der Flüsse Mosel, Saar und Ruwer bauen rund 5000 Winzer und Winzerinnen Wein an. Galt bis in die 1990er Jahre hinein Moselwein als überwiegend süß und preiswert, haben sich seitdem Qualität und Image radikal gewandelt.

Der wohl wichtigste Wirtschaftsmotor des Mosellands ist ein absoluter Oldtimer und brummt seit 2000 Jahren ununterbrochen: der Wein. Die komplette Tourismusstrategie der Region baut darauf auf. Wein und Kultur, Wein und Wandern, Wein und Radwandern lauten die Themen, an denen sich Gastronomen, Hoteliers und Freizeitanbieter orientieren. Ohne den Wein fehlte dem Handwerk und dem Handel des Mosellands das Gros der Kunden. Die Immobilien wären weitaus weniger wert, die Verkehrsinfrastruktur nur rudimentär entwickelt, und von Bevölkerungsdichte könnte so tief in Deutschlands gebirgigem Westen keine Rede sein. Von der Arbeit der rund 5000 haupt- und nebengewerblichen Weingüter profitieren und leben an der Mosel also letztlich alle - auch heute noch und trotz der mittlerweile ansässigen Industrie- oder Hightechunternehmen anderer Branchen.

Zunächst ist das Lebenselixier der Region ein Resultat der Natur: Die verwitterten Tonschieferhänge der Mittelmosel und die Grauwackerhänge der unteren Mosel bieten das ideale Terrain für den Riesling, der auf weit mehr als der Hälfte der gesamten Weinanbaufläche gedeiht. Auf den eher lehmigen Tallagen wächst auf weniger als einem Fünftel der Anbaufläche die Rebsorte Müller-Thurgau. Die kalkhaltigen Böden an der Obermosel sind perfekt für den Elbling - jene älteste deutsche Rebsorte, die von den Römern eingeführt wurde. Kerner, Rivaner und Optima komplettieren die Moselweinpalette auf der Weißweinseite. Immer beliebter wurden in den vergangenen Jahren die Rotweinsorten Spätburgunder und Dornfelder, was jedoch seit 2009 wieder abgenommen hat (siehe Grafik Seite 7).

Dass Wein - von welcher Sorte auch immer - ein reines Naturprodukt sein sollte, war in den 1970er und 1980er Jahren nicht bei allen Moselwinzern der letzte Stand der Erkenntnis. Für heftiges Rauschen im Blätterwald sorgte ein Weinskandal, der bis heute bei vielen in Erinnerung geblieben ist. Damals ging es recht grob zur Sache, mehr als 80 Prozesse wegen Weinpanscherei ruinierten das Image vor allem des Moselweins, der einst Traben-Trarbach zur weltweit bedeutendsten Weinhandelsmetropole gemacht hatte. Ein Weinbauingenieur aus Mertesdorf bei Trier äußerte sich 1989 im Spiegel über das, was in jenen Jahren erzeugt wurde: Es schmecke "wie Putzeimerwasser, wo noch der Lappen drin hängt". So viel panschten einzelne Winzer jener Zeit, dass von bestimmten Weinlagenbezeichnungen doppelt so viel verkauft wurde, wie dort überhaupt an Trauben gewachsen war. Die Tatsache, dass heute Moselriesling regelmäßig die Spitzenplätze bei internationalen Wettbewerben wie dem Riesling Grand Prix belegt, beweist: In den vergangenen Jahren haben die Winzer der Region eine geradezu fulminante Kehrtwende zum Besseren absolviert.

Gerade der Skandal mit seinen Auswirkungen war ein heilsamer Schock, wie Marcus Johst, Geschäftsführer des auf Weinthemen und ein junges Publikum spezialisierten Internetportals CaptainCork schildert: "Es gab in der nachfolgenden Winzergeneration einen totalen Bruch mit der überkommenen Produktionsphilosophie. Eine strikte Hinwendung zur Qualität und das Finden ureigener Nischen war für viele die logische Konsequenz." Johst beobachtet, dass die großen medialen Werbekampagnen für Massenweinprodukte bislang kaum auf bewussten Kauf und Genuss setzen. "Da wird zwar mittlerweile ein tolles und modernes Design geboten, doch wenig Geschmack. Das ist aktive Verblödung, und die jungen Winzer etwa an der Mosel wehren sich buchstäblich gegen große Tanker. Sie spielen selbst virtuos auf der Klaviatur der digitalen Vermarktung und erreichen so junge, internetaffine und kenntnisreiche Weintrinker."

Auch Rolf Haxel, Präsident des Weinbauverbands Mosel mit eigenem Weingut in Cochem, sieht den Erfolg einer qualitätsbewussten Strategie, die schon seit zehn Jahren umgesetzt werde und nun Früchte trage. "Jungwinzer müssen nicht biologisch jung sein. Das Alter ist relativ. Es geht darum, jung im Kopf zu sein. Die 180-Grad-Wendung vom schlechten zum ausgezeichneten Image des Weins von Mosel, Saar und Ruwer ist in allen Bereichen vollzogen, von der Auswahl der Rebsorten über die Erziehung im Weinberg und die Arbeit im Keller bis zur Vermarktung."

Die neue Philosophie, die Haxel schildert, ist im Grunde vor allem eine große Rückbesinnung auf das, was die Handwerkskunst des Weinmachens vor der Eroberung immer neuer Massenmärkte ausmachte. "Die Jungen konzentrieren sich wieder darauf, Weltmeister in Sachen Riesling zu sein, und wollen keine Experimente mehr mit Sorten wie Ortega oder Optima." Allerdings seien leichte Roséweine und Rotweine, die seit neun Jahren auch an der Mosel angebaut werden dürfen, bis 2009 auf dem Vormarsch, denn: "Damit bekommen wir junge Konsumenten auch weg vom Bier."

Das aktuelle Jahr zeigt einmal mehr, wie sehr Mutter Natur beim Weinbau mitregiert. Wenige Minuten Hagelschauer reichen aus, um aus einer möglichen Superernte ein Problem zu machen: Plötzlich wird die geeignete Traubenmenge drastisch reduziert.

Im Idealfall bestimmt allein die Rebstock-Erziehungsmethode des Winzers, wie viel Trauben er liest. Dazu gehört der Schnitt des sogenannten Fruchtholzes, auch werden überflüssige Trauben vor der Reife herausgeschnitten. "Weniger Ertrag pro Hektar bringt zumeist mehr Qualität durch konzentriertere Mineralität und Süße", erläutert Haxel. So kann der Wein mit entsprechendem Know-how des Winzers die besonderen Nuancen aus dem jeweiligen Boden holen - Stichwort Terroir. Die Reben, die beispielsweise auf den Blauschiefer-Steillagen rund um Cochem wachsen, lassen den Ausbau zu einem Wein mit unverwechselbaren Aromennoten zu. "Die Jungwinzer vertreten häufig die Philosophie, dass sie lieber sehr individuelle Weine nach bester alter Handwerkstradition herstellen als große Mengen. Sie arbeiten auch mit mehr Sinnlichkeit."

Denn anstatt sich wie früher bei der Messung der Oechslegrade auf das Refraktometer zu verlassen, kontrollieren Winzer die Reife nun mit allen Sinnen: Wie schmecken die Trauben, wie sehen die Kerne aus? Auch die Arbeit im Keller machen viele Weinerzeuger der jungen Generation auf ihre eigene Art.

So ermöglichen es moderne Edelstahltanks, die Mosttemperatur zu senken und damit die Vergärung zu verlangsamen - das ergibt intensivere Geschmacksnuancen.

"Die jungen Leute können die technologische Bandbreite besser ausnutzen, denn sie sind heute viel besser ausgebildet als in früheren Epochen. Ihr Beruf ist längst akademisch geprägt. Es gibt einen dualen Studiengang, der das Beste aus der Theorie mit der Praxis zusammenbringt", sagt Haxel. "Sie bilden sich fort und praktizieren lebenslanges Lernen. Über den Tellerrand schauen ist selbstverständlich geworden. Viele sammeln Erfahrungen in ausländischen Weinanbaugebieten. Sie tauschen sich untereinander aus und knüpfen Netzwerke." Es entstehen immer mehr Cuvées als gemeinsames Produkt mehrerer Jungwinzer, von denen einer top im Keller oder im Wingert ist, der andere womöglich im Marketing. Der moselländische Spruch, dass ein Winzer im Keller mit seinem Herrgott allein ist, gilt nicht mehr. Heute herrscht intellektuelle Offenheit und Neugier. "Dazu tragen etliche Quereinsteiger bei, die aus anderen Berufen und Regionen stammen und sich dem Weinbau mit besonderer Kreativität und unverstelltem Blick widmen. Das ist hier stärker entwickelt als in anderen Anbaugebieten."

Wenn der Wein fertig ausgebaut ist, fällt ein weiterer innovativer Zug der Jungwinzer auf. Sie sind nicht nur viel vertrauter mit den Marketingmöglichkeiten des Internets. Sie gehen auch von Angesicht zu Angesicht anders mit ihren Kunden um. "Sehr viele sind Direktvermarkter, die intensive und fast freundschaftlich zu nennende Beziehungen mit ihren Abnehmern pflegen", schildert Haxel die neue Nähe. "Die Kunden wollen sich mit ‚ihrem' Weingut identifizieren, und die Winzer erfüllen diesen Wunsch."

Das drückt sich beispielsweise im Trend aus, den Weinen den eigenen Namen zu geben und das - vorzugsweise puristisch gestaltete - Etikett nicht mit den in Deutschland üblichen Bezeichnungen von Lage, Rebsorte, Geschmacksrichtung und Prädikat des Mostgewichts wie Spätlese zu füllen. "Das ist für die ausländischen Weinliebhaber sowieso in der Regel viel zu kompliziert." Viel einprägsamer ist es, wenn etwa das Weingut Matthias Hild in Wincheringen an der Obermosel den Elbling der jungen Generation auf dem Gut schlicht Junior 2010 nennt - und mit besonderer Qualität besticht, da die Trauben auf Blechen per Hand vorsortiert wurden.

Über die üblichen Planwagenfahrten oder Wanderungen in die Weinberge hinaus, die dann mit einem feuchtfröhlichen Picknick gekrönt werden, gibt es immer häufiger echte Patenschaften für Weinstöcke. Ein Trend vor allem in den Steil- und Steilstlagen, die von engagierten Jungwinzern rekultiviert werden. "Die Kunden helfen bei verschiedenen Arbeitsschritten mit und nehmen sich dafür Urlaub. Sie bekommen dann ihren eigenen Wein, sie erfahren Transparenz und so etwas wie Mitverantwortung." Auch die Weinproben selbst sind ein sinnlicheres und zugleich ein informativeres Erlebnis geworden als früher üblich. Es geht nicht mehr nur um das Trinken, sondern um das Kennenlernen der Weine, ihrer Herstellung und ihrer Anbauregion.

Und noch etwas betont Haxel: Der typische Moselwinzer ist längst nicht mehr ein älterer Herr. "Viele junge Frauen haben in den Betrieben das Ruder übernommen. Eine Männerdomäne ist der Weinbau ganz und gar nicht mehr." Der frische Wind zahlt sich für die Winzer auf jeden Fall aus: Sie erzielen wieder deutlich höhere Preise für ihre Qualitätserzeugnisse. Und sie machen sogar verwöhnte Franzosen und Spanier zu treuen Fans von Moselriesling, wie der Weinbaupräsident beobachtet: "Die kommen immer häufiger, um hier Weinurlaub zu machen. So etwas haben sie zu Hause schließlich nicht." Jungwinzer müssen nicht biologisch jung sein. Das Alter ist relativ.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort