Kein Raum für Radsport-Illusionen

Hans-Michael Holczer (56) hat sich als Chef des Radsport-Teams Gerolsteiner international einen Namen gemacht. Kürzlich stellte der ehemalige Lehrer, der er bald wieder (zumindest auf Zeit) sein wird, sein Erstlingswerk mit dem bezeichnenden Namen "Garantiert positiv" vor.

Stuttgart. Die Szene erinnert an eine Pressekonferenz bei der Tour de France, bei der Hans-Michael Holczer einst die Ziele seines Teams Gerolsteiner erläuterte. Monologe des großen Kommunikators aus dem schwäbischen Herrenberg, fast jeder Satz ein Treffer. Druckreif, mit Ansage, kein Gewäsch. Der (Medien)-Rummel ist groß bei der Vorstellung seines Buches "Garantiert positiv".

Ein Werk, das Aufmerksamkeit erzielen dürfte, auch wenn der Schreiber betont, "keine Enthüllungsstory" verfasst zu haben. Im Profiradsport aber spüre er ein "gewisses Unbehagen", weil er mit Doping zusammenhängende Fakten ziemlich unverblümt anpackt, "ohne jemand an den Pranger stellen zu wollen".

Holczer (56) tritt ab September wieder als Lehrer vor Realschulklassen. Er sei vor seinem Ausflug ins rollende Metier schließlich "schon 25 Jahre gerne Lehrer gewesen". Dennoch beschreibt er den Sport als unverändert "faszinierend". Das mag verwundern nach den Erfahrungen mit Dopingsündern wie Danilo Hondo, Davide Rebellin, Bernhard Kohl oder Stefan Schumacher. "Kriminelle Elemente und deren kriminelle Energie" hätten ihn zur "Kapitulation" getrieben, aber bei einem Anruf aus der Ecke des Profiradsports würde Hans-Michael Holczer den Hörer dennoch nicht spontan weglegen.

Er spricht von einem Suchtproblem, einer eigenartigen Faszination, dem Reiz, den das Pedalieren immer noch ausübt. "Wenn irgendwo eine Türe aufgeht, werde ich mir überlegen, ob ich durchgehe oder nicht." Allerdings: "Im Moment ist kein Platz für mich. Weil ich keinen Sponsor habe und wahrscheinlich auch zu forsch aufgetreten bin." Aber das Doping würde ihn nicht davon abhalten. "Der Prozess des Arrangierens wird weitergehen, irgendwann auch beim Thema Doping eine gewisse Gelassenheit eintreten", schreibt er in seinem 240 Seiten umfassenden Buch.

Denn gelernt hat Holczer vieles in zehn Jahren Team Gerolsteiner, die ihn, den Seiteneinsteiger, nahezu vor jedes Mikrofon spülten. Zum Beispiel, dass die Chance, "etwas zu bewirken", sofort auch in einen Rechtsstreit führen könne. Man könne das Thema des Missbrauchs nicht wegkontrollieren, denn selbst groß angelegte interne Überprüfungssysteme seien nutzlos. "Selbst wenn man eine Kamera im Klo anbringt, geht der Fahrer hinter den Spülkasten und spritzt sich was ..."

Die "blutige Nase" bei der Suche nach einem Ersatz-Geldgeber für Gerolsteiner gehört der Geschichte an. Der Ex-Unternehmer empfand "positive Erlebnisse trotz positiver Fälle". Dass "Manipuleure unglaubliche Qualitäten an den Tag legten", meint er verwunden zu haben. Die Anwaltskosten ("Dafür könnte man ein kleines Team aufmachen") führten nicht in den wirtschaftlichen Ruin, seine eigenen Fehler ("Ich wusste nichts von einem Nachfolge-Präparat für Epo wie Cera") nennt er mit Namen, über seinen Zwiespalt berichtet er im Buch. Aber eben auch von einer positiven Zeit - und dieses Mal ist nicht das Doping gemeint.

Hans-Michael Holczer: "Garantiert positiv - Mein Leben für den Radsport", aufgezeichnet von Jürgen Löhle. Verlag Delius Klasing, Bielefeld. 240 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-7688-3222-9

Zur Person

Hans-Michael Holczer managte das Team Gerolsteiner zehn Jahre lang. Der gebürtige Schwabe gab im Jahr 2008 seinen Rücktritt bekannt. Grund dafür waren zwei seiner Schützlinge: Bernhard Kohl und Stefan Schumacher wurden des Dopings überführt. Ende April 2009 wurde auch Davide Rebellin positiv auf Cera getestet. Holczer sagte dem TV damals: "Ich habe mich überschätzt. Ich habe den Showdown angenommen. Wir haben uns die Erfolge plausibel geredet." (red)

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