Als Mitbegründerin von Nestwärme setzen Sie sich seit fast 25 Jahren für die Belange und Probleme von Kindern, die an lebensverkürzenden Erkrankungen leiden, und deren Familien ein. Was hat Sie zu diesem Engagement bewegt?
Interview Elisabeth Schuh Kinderhospiz Trier: „Die Familien brauchen jetzt Hilfe und nicht erst in fünf Jahren“
Trier · Der Trierische Volksfreund unterstützt das Projekt Nestwärme Kinderhospiz mit einer großen Spendenaktion. Warum es gebraucht wird und die Realisierung eine echte Herausforderung bleibt.
Das Projekt Kinderhospiz ist Thema einer großen Spendenaktion. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Was aber ist das Besondere an diesem Vorhaben? Und welche Hindernisse gibt es? Darüber hat unser Redakteur Rainer Neubert mit Elisabeth Schuh gesprochen. Sie ist maßgeblich an der Konzeption für das Kinderhospiz beteiligt.
Elisabeth Schuh Ich habe mich schon früh ehrenamtlich engagiert, zum Beispiel in der Jugendarbeit und auch politisch. Beruflich ist meine Wahl später auf die klassischen „helfenden Berufe“ mit der Ausbildung zur Pflegefachkraft und meinem Psychologiestudium hier in Trier gefallen, wo ich meinen Mann bei der Gründung des Hospizvereins kennengelernt habe. Ein schwerer Schicksalsschlag war, als unser erstes gemeinsames Kind zu früh geboren wurde und nach einigen leidvollen Wochen gestorben ist. Das war für uns eine sehr traurige Zeit und prägende Erfahrung, die ganz sicher dazu beigetragen hat, dass mir die Begleitung und Stärkung von Familien mit schwer kranken Kindern besonders am Herzen liegt.
Was waren damals die größten Herausforderungen für den neuen Verein?
SCHUH Familien mit einem schwer oder lebensverkürzend erkrankten Kind sind in einem Schockzustand und wurden außerhalb von Klinik und Therapien vollkommen allein gelassen, mit all ihren Sorgen und Gedanken. Es gab keinerlei Strukturen, wie die Familien zu Hause begleitet und entlastet werden. Genau da haben wir angesetzt und uns gemeinsam mit Familien diese Strukturen erarbeitet. Wir haben gefordert, dass wenigstens einen Teil der häuslichen Begleitung und Pflege finanziert wird, wie zum Beispiel die ambulante Kinderkrankenpflege, eine Fachberatung für Familien mit chronisch kranken Kindern oder auch die inklusive Kinderkrippe für die Stadt und den Landkreis Trier-Saarburg.
Hat sich an dieser unbefriedigenden Situation für die betroffenen Familien bis heute etwas geändert?
SCHUH Auch heute noch müssen wir mit und für die Familien kämpfen – besonders die Finanzierung und die Bürokratie sowie der Fachkräftemangel machen uns allen das Leben schwer. Wir konnten im Laufe der Zeit dank unserer Spenderinnen und Spender, den Krankenkassen und dem Land Rheinland-Pfalz passgenaue individuelle Angebote für Familien entwickeln und ihnen ein guter Ansprechpartner sein. Obwohl viele politisch Verantwortliche verstehen, dass Familien mit schwer kranken Kindern einen besonderen Schutz und Unterstützung brauchen, findet sich diese Haltung aber nicht in neuen Gesetzesformulierungen wie dem Intensivgesetz oder auch der Grundsicherung für Kinder. Kinder und Familien müssen wieder um ihre Rechte fürchten und die Stimme erheben – und das tun wir alle gemeinsam!
Die Idee von Nestwärme hat bundesweit Schule gemacht. Vor allem das ehrenamtliche Engagement. Wo überall findet sich der Gedanke von Nestwärme derzeit?
SCHUH Nun, ich hoffe, dass der Gedanke und das Gefühl von Nestwärme ganz viele Menschen erleben und immer wieder weitergeben. Wir erleben seit mehr als 20 Jahren, dass sich viele Menschen gern mit ihren Gaben und ganzen Herzen einbringen möchten, um Inklusion zu leben und Tag für Tag neu zu erschaffen. Unter dem Dach von Nestwärme engagieren sich bundesweit mehr als 1500 Menschen, jung wie alt, in kleinen Projekten, in der Übernahme längerfristiger Aufgaben oder auch der langfristigen Begleitung von Familien. Wir haben von Hamburg bis Graz in Deutschland, Luxemburg, Österreich und auch der Schweiz viele kleine „Nester“ von Menschen, die sich kreativ einbringen. Darüber sind wir total glücklich – weil es ganz konkret und spürbar unsere Welt verbessert.
Die ambulante Kinderkrankenpflege – und beratung ist trotz inklusiver Kinderkrippe, Resilienzkursen und weiteren Angeboten des Vereins für viele Familien eine wichtige Kernaufgabe des Vereins und der dafür gegründeten gemeinnützigen GmbH geblieben. Gibt es hier ähnliche Personalprobleme wie in der Erwachsenenpflege?
SCHUH Ja, das ist leider so – und in der Kinderkrankenpflege sogar noch dramatischer. Ausgebildet wird leider nur in den Kliniken. Aber die brauchen selbst jede Fachkraft. Da fehlt in der häuslichen Kinderpflege natürlich Personal. Dennoch sind wir stolz darauf, dass ein großer Teil unseres Kinderpflegeteams schon viele, viele Jahre voller Power und aus tiefer Überzeugung bei Nestwärme mitarbeitet. Aber natürlich wünschen wir uns noch mehr junge Fachkräfte, die den Schritt aus stationären Einrichtungen in unser Arbeitsfeld der ganzheitlichen kind- und familiengerechten Pflege gehen, damit wir mehr Familien versorgen können.
Vor zwei Jahren ist die Idee für ein Kinderhospiz in Trier entstanden, das für alle betroffenen Familien der Region offen sein soll. Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?
SCHUH In den vergangenen fünf Jahren beobachten wir mit großer Sorge, dass sich die Situation für betroffene Kinder und ihre Familien noch einmal verschlechtert, gerade in unserer ländlichen Region. Eine von uns in Auftrag gegebene Studie hat das bestätigt und dringend empfohlen, die Begleitung der Familien unserer Region zu sichern. Wegen dieser Dringlichkeit können wir uns nicht mehr nur auf die Politik und Gesetzgebung verlassen und abwarten – die Familien brauchen jetzt Hilfe und nicht erst in fünf Jahren. Darum gehen wir jetzt den Weg mit ganz vielen Menschen und Privatinitiativen, um das notwendige und für unsere Region gut angepasste Kinder- und Jugendhospiz zu errichten.
Der Ansatz für eine solche Einrichtung unterscheidet sich wesentlich von dem Konzept für ein Erwachsenenhospiz. Was sind die Unterschiede?
Schuh In der Erwachsenenhospizarbeit ist ganz klar, dass der Mensch dort seine letzte Lebensphase verbringt. Bei den Kindern bekommt der Name „Hospiz“ seine eher ursprüngliche Bedeutung – nämlich Herberge oder Rastplatz zum Ruhen. In Kinderhospizen kann sich die ganze Familie erholen und stärken ... Und doch sind wir auch im Kinderhospiz für die letzte Lebensphase gerüstet. Bei Kindern ist eben diese Phase manchmal ein jahrelanger Prozess, in der wir beraten und unterstützen. Das geschieht nicht nur bei medizinischen und pflegerischen Fragestellungen oder in Krisenzeiten, sondern auch bei der Auseinandersetzung mit den Ängsten, der Trauer und den Hoffnungen aller Familienmitglieder. Genau darum haben wir so vielfältige Angebote wie Resilienztrainings, niedrigschwellige Beratungsgespräche, ambulante Hilfen zur Erziehung oder das jüngste Projekt Geschwisterzeit geschaffen.
Und was unterscheidet das Nestwärme-Kinderhospiz von ähnlichen Einrichtungen in Deutschland?
SCHUH Es geht uns vor allem um wohnortnahe und alltagstaugliche Angebote für die Familien, um sie passend zu aktuellen Bedarfen und ihren Wünschen zu begleiten. Dabei legen wir Wert auf hohe Betreuungskontinuität und schnelles und unbürokratisches Handeln bei Krisen. Die Familien profitieren von kurzen Wegen zum Hospiz und guten Schnittstellenmanagements im schon bestehenden regionalen Versorgungssystem – das entlastet. Daneben wollen wir mit und für die Familien die Chancen der Digitalisierung und moderner Assistenztechnologien in der Pflege und Begleitung ausloten. Wir erwarten hiervon auch die Eröffnung ganz neuer Möglichkeiten für die Familien und uns.
Welche Probleme, nennen wir sie besser Herausforderungen, sind bei der Umsetzung des Projekts zu bewältigen?
SCHUH Wir brauchen einen langen Atem! Denn wir betrachten alle Familien mit einem ganzheitlichen Blick. Daher haben wir mit unserem Modell des Nestwärme-Hauses einen neuen sektorenübergreifenden Ansatz in der Kinder- und Jugendhospizarbeit formuliert. Bürokratische und gesetzliche Hürden machen es Projekten schwer, die parallel verschiedene Sektoren oder sagen wir „Finanzierungstöpfe“ oder Schubladen integrieren wollen. Für uns ist es tatsächlich eine Herausforderung, diesen „langen Atem“ zu haben. Menschen und Förderer geben uns die Chance, Zeit und Mittel aufzubringen, um diese Vorarbeit leisten zu können. Es ist in jedem Fall klar: Ohne Spender oder Stiftungen wäre dieses Vorhaben in Privatinitiative absolut nicht möglich und umsetzbar!
Dabei helfen auch unsere Leserinnen und Leser mit ihren Spenden. Bis heute sind schon fast 630.000 Euro zusammengekommen.
SCHUH Ja, das Engagement in der Region ist großartig. Wir sind dafür sehr dankbar und hoffen, dass gerade in der Vorweihnachtszeit die Unterstützung groß bleibt.
Warum ist das so wichtig?
SCHUH Kinderhospize in Deutschland müssen alle den größten Teil ihrer Finanzierung in Privatinitiative aufbringen, so auch wir in Trier. Auch gibt es für die Schaffung und Ausstattung eines Kinderhospizes grundsätzlich keine Finanzierung. Das bedeutet, es wird ein großes Startbudget gebraucht, für die Entstehung und die Ausstattung, aber auch jährlich, um nachhaltig die Verantwortung übernehmen zu können. Wir wissen, dass Hürden überwunden werden müssen, denn die Kinderhospizarbeit löst große Ängste in der Gesellschaft aus. Sie ist noch stärker tabuisiert als Tod und Trauer im Allgemeinen. Wir verstehen die Kampagne mit dem Volksfreund auch als großartige Möglichkeit zur Information und Aufklärung. Denn sie wird dazu beitragen, dass das Kinderhospiz von Beginn an in unserer Region im positiven Sinn verankert ist und alle sich aufgerufen fühlen dürfen, das Nestwärme-Haus, seine Gäste und Mitwirkenden auf dem Petrisberg in Trier zu besuchen.
Unabhängig von der Finanzierung. Das Projekt selbst wird wissenschaftlich begleitet ...
SCHUH Das ist so. Hilfreich ist hier die Förderung und wissenschaftliche Begleitung durch das Bundesfamilienministerium im Rahmen des Programms „Sterben, wo man lebt und zu Hause ist“. Wir gestalten damit ein Best-Practice-Modell und hoffen, bürokratische wie gesetzliche Hürden im positiven Sinne „verschieben“ zu können.
Die Pläne für das Kinderhospiz sind inzwischen fertig. Sind diese so, wie Sie und das Nestwärme-Team es sich vorgestellt haben?
SCHUH Ja, es ist ganz fantastisch, wie der Architekt Monty Klepzig und die Stiftung Rehkids die Ideen unseres Konzepts aufgenommen und weitergeführt haben. Schon die Lage – am Waldrand, aber dennoch mitten im Quartier am Petrisberg – ermöglichen Ruhe und Begegnung gleichermaßen. In der fast runden Form des Gebäudes drückt sich der „Nest“-Charakter aus. Dieser wird mit einem Innenhof und bodentiefen Fenstern mit Blick ins Grüne noch verstärkt. Spiel- und Entspannungsräume wie Snoozelen oder Bällebad sind eingeplant. Wir alle freuen uns schon darauf, mit einem nestwarmen Raumkonzept die Innengestaltung anzugehen.
In etwa zwei Jahren soll das Kinderhospiz im Betrieb sein. Sind auch danach Spenden notwendig, um die Einrichtung zu betreiben?
SCHUH Ja, das ist ganz wichtig! Ein Kinderhospiz kann zwar einen Tagessatz für die Pflege und Begleitung des Kindes mit den Krankenkassen abrechnen. Jeder weitere Aufwand der Begleitung aller anderen Familienmitglieder, das Mitwohnen der Familie während des Hospizaufenthalts ihres Kindes und alle Angebote, die zusätzlich der Familie in ihrer Trauerarbeit, ihrer Auszeit, dem Entspannen und Entlasten dienen, können von den Krankenkassen nicht finanziert werden. Nur mit der langfristigen Unterstützung durch die Region und ihre Menschen und Unternehmen kann das Kinderhospiz seine Aufgabe wirklich erfüllen.
Was ist Ihr größter Wunsch beim Blick in die Zukunft?
SCHUH Dass es uns allen gemeinsam gelingt, weiter in Verantwortung und nachhaltig für die Familien unserer Region da zu sein. Die Familien sollen spüren, sie sind nicht alleine ... die ganze Region hat sich für sie starkgemacht und wird dies weiter tun. Wir wünschen uns, dass es keine total erschöpften Familien mehr gibt und Kinder und Jugendliche trotz ihrer Einschränkungen oder begrenzten Lebenszeit ein normales und glückliches Leben führen können. Daran kann sich jede und jeder beteiligen – und dadurch einfach mehr Nestwärme schaffen!