„Peter ist in unser Leben gepoltert“ Trotz schwerer Behinderung: Warum sich eine schwangere Frau für ihr Kind entschieden hat
Trier · Wenn sich Eltern schon in der Schwangerschaft bewusst für ein schwer behindertes Kind entscheiden, werden sie noch oft allein gelassen. Was Maria N. vor und nach der Geburt ihres Sohnes erlebt hat.

Die Ultraschalluntersuchung gehört für Schwangere zu jedem Besuch beim Frauenarzt. Bei Risikoschwangerschaften und in manchen anderen Fällen sind genauere Untersuchungen der Pränataldiagnostik sinnvoll. Nicht alle Eltern entscheiden sich bei einer schlechten Diagnose gegen das Kind.
Foto: dpa-tmn/Bodo MarksDie schlimme Diagnose hat mit einem Schlag das Leben von Maria N. und ihrer Familie auf den Kopf gestellt. „Ich hatte bei der Schwangerschaft von Beginn an ein ungutes Gefühl“, erinnert sich die heute 37-Jährige aus dem Raum Trier an die dramatische Zeit vor vier Jahren zurück. Ihren Namen und ebenso die ihrer Kinder hat die Redaktion mit Rücksicht auf die Privatsphäre geändert. „Irgendetwas passte nicht, deshalb haben wir uns in der 26. Schwangerschaftswoche für eine Pränataldiagnostik entschieden und diese trotz ärztlicher Beschwichtigungen durchgesetzt.“
Vorgeburtliche Untersuchung: Schockierende Diagnose für den Sohn von Maria N.
Schon das erste Ergebnis hat damals das Gefühl der jungen Frau bestätigt: Verdacht auf mehrere organische Fehlbildungen. Bei einer vertiefenden Untersuchung wurde ein seltener Gendefekt entdeckt. „Natürlich war das für uns ein riesiger Schock, denn wir hatten uns drei Jahre nach der Geburt unserer Tochter auf ein weiteres Wunschkind gefreut.“ Doch die Hoffnung auf Zuspruch und zugewandter Hilfe durch Spezialisten einer Uniklinik in Hessen erfüllten sich nicht.
„Da wurde uns mitgeteilt, dass unser Kind keine Überlebenschance hat und noch im Mutterleib sterben wird. Ein Kaiserschnitt ohne lebenserhaltende Maßnahmen für unseren Sohn ist uns schon für den nächsten Tag angeboten worden, also ohne Bedenkzeit. Dann sind wir mit Verweis auf die laufenden Prüfungen in der Uniklinik einfach vor die Tür gesetzt worden.“
Zurück in der Heimat folgten weitere Gespräche mit dem vertrauten Arzt. „Der hatte Zweifel an der Diagnose des Professors.“ Maria N. entschied sich letztlich, „den Weg mit meinem Kind zu gehen“. Die Beziehung zu dem Leben in ihr sei zu diesem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft schon sehr eng gewesen. „Wir wollten keine lebenserhaltende Maßnahmen nach der Geburt, alles andere wollten wir abwarten.“
Was folgte, war kein einfacher Weg. Die damals 33-Jährige erlitt eine schwere Schwangerschaftsvergiftung mit „unfassbar starken Bauchschmerzen“. Nur durch eine sofortige Entbindung des Kindes konnte ihr Leben gerettet werden. Aber Peter, der schwer mehrfach behinderte Sohn, ist nicht gestorben. „Er wollte leben.“ Beide, Mutter und Kind, wurden auf den Intensivstationen in der Uniklinik Homburg behandelt.
Das Uniklinikum im Saarland sollte auch in den folgenden Jahren immer wieder für Wochen und Monate ihr Lebensort sein. Denn 14 Operationen und viele schwere Infektionen des Söhnchens folgten.
Wie sich die Familie auf ihr Leben mit Peter eingestellt hat
„Peter ist in unser Leben gepoltert“, sagt die selbstbewusste Frau heute. Ihr Sohn ist schwer mehrfach behindert, kann sich nur durch Mimik und Gestik verständlich machen, nur an der Hand laufen und ist inkontinent. „Peter hat unsere ganze Familie auf den Kopf gestellt“, sagt sie liebevoll. Den Rückblick auf die vergangenen Jahre empfinde sie wie den Blick auf einen Film. In der Gegenwart hat sich die Familie inklusive Tochter Leonie (7) gut organisiert. „Wir bekommen viel Unterstützung von Verwandten und Freunden, denen wir die Unsicherheit und Berührungsängste genommen haben.“ Jeder, der ins Haus komme, werde eingespannt.
Dass nicht alle Eltern in einer solchen Situation so gut zurechtkommen, weiß Maria N. „Dass wir bei der Entscheidung nach der Pränataldiagnose nicht aktiv geworden sind, war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Aber natürlich war Unsicherheit auch für uns ein großes Thema. Jetzt nehmen wir ihn überall hin mit und versuchen dabei, die Berührungsängste von Erwachsenen und Kindern abzubauen.
Besonders in der Schwangerschaft hätte sie sich aber mehr professionelle Hilfe gewünscht. „Wir wurden damals völlig alleingelassen und konnten uns nur aus dem Bauch heraus entscheiden.“
Tatsächlich besteht in Deutschland ein Rechtsanspruch auf eine kostenfreie psychosoziale Beratung im Zusammenhang mit vorgeburtlichen Untersuchungen. In der Realität kümmern sich aber häufig vor allem die Hebammen um die werdenden Mütter, wenn eine schwer zu ertragende Diagnose erfolgt ist. Denn dafür besonders ausgebildete Fachkräfte gibt es noch selten.
Wie das Kinderhospiz Nestwärme helfen könnte
Vergleichsweise gut ist das Angebot im Eifelkreis Bitburg-Prüm. In Trier bietet der Sozialdienst katholischer Frauen in der Schwangerschaftsberatungsstelle die psychosoziale Beratung im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik an und verfügt über ein entsprechendes Netzwerk.
Ein mustergültiges Beispiel, wie eine Begleitung von der Diagnose über die Geburt und weit darüber hinaus aussehen kann, bietet das Kinderhospiz „Löwenherz“ in Braunschweig mit mehreren speziell fortgebildeten Hebammen und Trauma-Fachberaterinnen.
Auch im geplanten Kinderhospiz in Trier könnte so etwas Teil des komplexen Angebots werden. „Natürlich denken wir darüber nach, auch so etwas aufzubauen“, sagt Elisabeth Schuh, eine der Mitinitiatorinnen des Vereins Nestwärme. „Das würde uns glücklich machen.“ Mit bereits jetzt zwei Psychologinnen und zwei Pädagoginnen im Team sei das machbar.
Auch Maria N., ihr Mann und die siebenjährige Tochter Leonie würden sich darüber und über das komplette Angebot des Kinderhospizes freuen. Denn damit soll Familien wie ihrer das Angebot gemacht werden, Auszeiten vom Alltag zu nehmen. „Was unser Leben immer noch schwierig macht, ist, dass wir bei den von den Krankenkassen getragenen Betreuungsleistungen durchs Raster fallen. Wir würden gerne ab und zu ein Wochenende oder auch mal während der Ferien Peter in guten Händen wissen und etwas mit unserer Tochter unternehmen.“ Genau das will das Kinderhospiz ermöglichen.