Kleine Helden, die durchs Feuer gehen

Ein Auto rast über den Parkplatz, auf dem Dach ein kleiner Junge. Die Reifen quietschen, der Motor heult. Verzweifelt klammert sich das Kind ans Blech. Vollbremsung. Der Knirps prallt auf die Motorhaube, fliegt durch die Luft, knallt zu Boden - und hüpft quicklebendig von den ausgedienten Matratzen. "Wie war´s?" wollen die anderen wissen. "Cool!" grinst Niklas in die Runde seiner kleinen Stuntkollegen. Ein Hauch von Stolz huscht über sein Lausbubengesicht, garniert mit jenem charakteristischen Ausdruck, der Zauberlehrling Harry Potter berühmt gemacht hat: Je cooler der Blick, desto heißer der Typ. Ein strubbelhaariges Kerlchen mit blitzblauen, schelmischen Augen, die durch runde Brillengläser die Welt bestaunen. Der Chef der Stuntschule nickt anerkennend: "Klasse, Niklas!" Aber ganz zufrieden ist Manfred Kaufmann, 38, noch nicht. Sein Hüpfer soll die Szene glaubwürdiger verkaufen: "Schreist du bitte beim nächsten Mal? Wir üben hier nicht für den Stummfilm!" Während sich der Dreikäsehoch verdrückt, um das Schicksal noch einmal herauszufordern, flü-stert Kaufmann hinter der hohlen Hand: "Der Junge ist einer unserer Besten."Höhenstürze, Feuerwalzen, Gänsehaut und jede Menge Filmblut: An Europas einziger Kinder-Stuntschule in Düsseldorf lernen Kids, wie man filmgerecht kämpft, von fahrenden Autos springt und sich in Brand setzen läßt. Für die Mini-Kaskadeure aus dem In- und Ausland ein Riesenspaß, für Jugendämter und Kinderschutzbund willkommenes Training zur Gewaltprävention. Selbst das Fernsehen ist Feuer und Flamme: Immer häufiger stunten Kinder in Krimis oder Seifenopern. Wie der achtjährige Niklas Fallik: "Das ist doch viel spannender als Gameboy!"Autostunts sind nicht gerade ein Kinderspiel, aber mittlerweile Routine für den achtjährigen Niklas Fallik aus Haan bei Düsseldorf - so lange auf ihn ein Matratzenstapel wartet. Auch für filmreife Höhenstunts und Kampfszenen ist der Drittklässler, den Sport anödet, durchs Feuer gegangen. Dabei durfte er sich schon mit Ruhm bekleckern: Mit sechs Jahren doubelte er im amerikanischen Kino-Kinderfilm "Der kleine Vampir" (2000) den Hauptdarsteller, und er lümmelte sich auch schon auf der Fernsehcouch des gelernten Metzgergesellen Stefan Raab in der Kult-Sendung "TV total" (Pro 7): "Mal was anderes als Sackhüpfen oder Eierlaufen." Auch andere Jungen und Mädchen der "Movie-Kids" wagen sich diesen Nachmittag an das, wovon Kinder im Alltag sonst höchstens träumen dürfen: An Stockkämpfe und Prügelszenen, mit und ohne Messer, an Saltos und Höhenstürze, rückwärts, kopfüber oder mit Drehung. Immerhin winken zwischen 750 und tausend Euro pro Film-Stunt, Action pur inklusive. Da lohnen sich Schweißperlen und die Aussicht auf ein paar blaue Flecke. Ob "Tatort", "Der Clown", "Drehkreuz Airport"; "Bibi Blocksberg", "Hallo Onkel Doc" oder der Polit-Thriller "Baltic Storm" mit Jürgen Prochnow und Greta Scacchi - immer häufiger springen Crash-Kids für Fernseh- und Kinoproduktionen durch präparierte Fensterscheiben, sprinten aus brennenden Kulissen, prügeln sich filmgerecht, bis das Kunstblut spritzt. Sudelei mit Folgen: Als sich die Kinder-Gesichter auf den Bildschirmen rot färbten und die Minis auch noch - mit dem Segen von Polizei und Arbeitsschutz - brennend über die Glotze flimmerten, erhob sich ein Sturm des Protestes. Manfred Kaufmann wurde schikaniert, bedroht, beschimpft; es hagelte Anzeigen wegen Körperverletzung: "Bis heute hat mein Anwalt 35 Fälle bearbeitet." Auch das kam schon vor: "Mich hat mal ein ehrgeiziges Elternteil verklagt, weil ihr Kind nicht schnell genug nach Hollywood kam."Kinder-Stunts - das gab es bis vor kurzem in der westeuropäischen Fernseh- und Kinoszene noch nicht. Jetzt, frohlockt Kaufmann, könnte sich das grundlegend ändern: "Der Bedarf ist groß. Früher hat man für derartige Filmszenen Liliputaner engagiert." Heute pilgern Mädchen und Jungen aus ganz Deutschland und dem fernen Ausland an die europaweit einmalige Kultstätte für Action, Spiel und Spannung. Mehr als 6000 Kids zwischen sechs und 16 Jahren, darunter sogar ein blinder Junge und eine Rollstuhlfahrerin, sind hier seit Gründung der Schule vor vier Jahren vorübergehend in Rauch und Nebel abgetaucht. Kaufmann resümiert: "Ich bespaße etwa 1200 Jugendliche im Jahr."Der Chef der stuntenden Brut, der als Schauspieler früher an deutschen Bühnen mehr die Klingen kreuzte als deklamierte, möchte Kinder wie Niklas Fallik allerdings nur in zweiter Linie auf eine Filmkarriere vorbereiten: "Unser Training dient vor allem der körperlichen Fitness, verhilft zu psychischer Stärke, klärt auf und trägt zur Gewaltvorbeugung bei." Davon sind mittlerweile auch Kinderschutzbund, Pädagogen und Kinderpsychologen überzeugt, die Kaufmanns Projekt nach anfänglichem Zögern unterstützen: Das Jugendamt der Stadt Düsseldorf hat das Angebot der Movie-Kids als Abenteuerpädagogik ins Programm genommen. Auf Veranstaltungen der Polizei dürfen die Mini-Cascadeure bundesweit und unter fachlicher Aufsicht ihr Können demonstrieren. Da fliegen die kleinen Fäuste, da krachen Köpfe gegen Wände, da wird gerempelt, geschlagen, getreten, geschimpft und geschrien, was das Zeug hält. Alles nur Show, keine Chance für kleine Rambos: "Wer sich bei uns wirklich prügelt, fliegt achtkantig raus!" versichert Kaufmann. Auch "durchgeknallten Eltern", die ihre Kinder verheizen wollen, bleibt der Zutritt verwehrt. Schauprügeln als Therapie: Kinder sind fasziniert von den immer gefährlicheren und brutaleren Szenen, wie sie das Fernsehen täglich liefert. Die Fernsteuerung ist ihr Zauberstab, ihre schrankenlose Welt zwischen Traum und Alltag reagiert auf jeden Knopfdruck. Wie groß die Gefahr ist, dass Kinder das Gesehene nachahmen, musste Kaufmann erst kürzlich wieder miterleben: Am Telefon rang eine verzweifelte Mutter um Fassung. "Ihr Kind war mit einem Bürostuhl bergab auf eine Kreuzung zugerast." Kinder sind für sechsMillionen Euro versichertNiklas Fallik und seine Crash-Kumpel haben längst gelernt, "nicht alles zu glauben, was da im Fernsehen gezeigt wird". Sie wissen, dass ein Sprung aus großer Höhe keine Mutprobe ist, sondern auf Können beruht, und dass einer Film-Schlägerei eine hart erarbeitete Choreographie zugrunde liegt.

Nichts für Jammerlappen, aber für Kaufmann "kalkulierbares Abenteuer" und wie jeder Sport dennoch nicht ganz ungefährlich: "Unsere Kinder sind mit sechs Millionen Euro versichert." Außer ein paar leichten Prellungen und blauen Flecken sei bislang "nie etwas Ernsthaftes" passiert. Ach ja, einer hat sich mal den Fuß verstaucht - auf dem Heimweg. Kaufmann zuckt kurz zusammen. Gerade ist ein Junge vor seinen Augen beim Höhensturz etwas unsanft gelandet: "Die Angst ist natürlich immer dabei."Stunten erfordert Teamfähigkeit. Jeder muss jedem im Notfall beispringen können. Anatomiekenntnisse sind so unerlässlich wie Mut, aber noch wichtiger ist Vertrauen. Erst recht bei einem spektakulären Feuerstunt. Für die heiße Übung schlüpft Niklas in die präparierten Klamotten: Zwei nasse Baumwollpullover übereinander, darüber ein feuerfester Schutzanzug und noch eine Lage aus trockener Baumwolle. Die Kinder helfen dabei. Unter Anleitung des Trainers reiben sie Gesicht, Hände und Haare ihres kleinen Helden mit einer Brandschutzpaste ein, ziehen eine feuerfeste Sturmhaube über den Wuschelkopf. An Brennstellen befestigen sie in Benzin getränkte Stofflappen. Noch ein paar mahnende Worte, dann steht Niklas in Flammen. Lodernd wie eine lebendige Fackel läuft er etwa 20 Meter. Dann wirft er sich schreiend auf den Boden, wo ihn seine Freunde mit nassen Decken löschen. "Super, Niklas!" schnalzt Vanessa, 10. Niklas´ Flamme ist mächtig stolz auf ihren Freund und Stuntkollegen. Die beiden Nachbarskinder sind unzertrennlich. Zimperlich ist die zierliche Göre mit dem einnehmenden Lächeln allerdings nicht gerade. Wehe, wenn sie ausholt: So manch präparierte Flasche aus Zuckerglas zersplitterte schon am Kopf des kleinen Brillenträgers. Dem ist das peinlich: "Von Mädchen lass´ ich mich sonst nie verkloppen!"Keine Zeit für Späße, auf Niklas wartet schon die nächste Übung. Doch diesmal verlässt ihn der Mut. Der Junge steht mit weichen Knien auf einem 7,50 Meter hohen Gerüst. Gleich soll er sich kopfüber in die Tiefe stürzen. "Tu einfach so, als ob du eine Treppe runtergehst!" ruft ihm Kaufmann Mut zu. Doch heute traut sich Niklas nicht. "Wenn du dir unsicher bist, dann komm wieder runter!" - "Hier oben ist es ganz schön windig!" - "Okay, Niklas, du musst nicht springen! Das ist Quatsch. Dann komm wieder `runter!" Nachdenklich fährt sich Kaufmann durch seine dunkle Mähne: "Schön ist es nicht da oben..." THOMAS OLIVIER

Kontakt: "Movie-Kids", Moerser Str. 68, D-40667 Meerbusch, Fax 02132 - 755525Info@movie-kids.de; Standort: Gut Holfeshof, Neandertal, Diepensiepen 19, 40822 Mettmann

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