Kreativität als Lebensprinzip

TRIER. Die Trierer Malerin Ulla Grass studierte bei Josef Beuys, dem Begründer der modernen Objekt-Kunst, und hat seine vielfach missverstandene These "Jeder ist ein Künstler" konsequent umgesetzt.

 Bei Beuys gelernt: Die Trierer Künstlerin Ulla Grass.Foto: Jutta Edinger

Bei Beuys gelernt: Die Trierer Künstlerin Ulla Grass.Foto: Jutta Edinger

Wem zu Joseph Beuys lediglich Objekte aus Fett und Filz einfallen, ist vielleicht überrascht, zu hören, dass die kleinformatigen Zeichnungen, die auf der Jahresausstellung der Tufa-Kulturwerkstatt zu sehen waren, von einer Beuys-Schülerin stammen. Fett und Filz sucht man bei der 58-jährigen vergeblich. "Jeder muss sich seine persönlichen Ausdrucksmittel suchen", sagt die zierliche Frau mit den kohlschwarzen, kurzen Haaren. Sie blickt wach aus den tief liegenden Augen. Ihre skizzenhafte, unvollkommen wirkende Technik ist Programm: "Meine Stärke ist die Spontaneität, nicht die Perfektion." Ihre Arbeiten bezeichnet Ulla Grass als "Fragmente" und erläutert: "Ich habe mir die Zeit für meine Kunst abringen müssen, denn ich war immer berufstätig und habe vier Kinder erzogen." Grass arbeitet mit einfachsten Materialien wie Grafit- oder Bleistift. Effekthascherei und Selbstdarstellung sind ihr fremd. Sie spricht bescheiden, aber selbstbewusst von ihren künstlerischen Arbeiten. Techniken wie das Arbeiten mit Ölfarbe oder Plastiken waren ihr zeitlich nicht nur zu aufwendig - die Entscheidung für einfache Techniken zeigt auch ihr von Beuys geprägtes Selbstverständnis. "Es geht mir nicht darum, zu zeigen, dass ich perfekt ein Handwerk beherrsche. Kunst hat für mich mit künden, nicht mit können zu tun."Kunst in allen Gesellschaftsbereichen

Ihre Inspiration zieht die Malerin häufig aus Büchern, Mythen oder der Geschichte. Vor allem Frauenfiguren faszinieren sie. Eine aktuelle Arbeit zeigt die Künstlerin Françoise Gilot, die Lebensgefährtin Picassos. Vorlage ist eine bekannte Fotografie, auf der Picasso Gilot mit einem Schirm Schatten spendet. In Grass' Zeichnung wird Picasso selbst zum Schatten Gilots. Eine andere Arbeit nimmt sich des Schicksals Sophie Scholls an. "Ich will seelische Zustände bildlich umsetzen", erläutert sie. Erst mit 26 Jahren kam Ulla Grass zur Malerei. Nach einer Erzieher-Ausbildung in Essen reiste sie mit einer Puppenspiel-Gruppe durch Afrika und lernte so ihren ersten Mann kennen: Johannes Stüttgen, Mitarbeiter und enger Freund von Joseph Beuys. Während Ulla Grass drei Kinder großzog, begann sie bei Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf freie Kunst zu studieren und arbeitete nebenbei als Erzieherin an einer Sonderschule. 1973 schloss sie das Studium mit dem Meisterschulbrief ab, der zum Unterrichten an Schulen berechtigt. Nach der Trennung von ihrem zweiten Mann zog Ulla Grass 1994 nach Trier. Auch hier lebt sie nach Beuys' Prinzip und macht ihr Kreativitäts-Potenzial für sich und die Gesellschaft nutzbar. "Jeder ist ein Künstler": Für Ulla Grass heißt das, künstlerisch zu wirken und in ihrem Beruf Kinder anzuregen, die eigene Kreativität auszuleben. Sie schloss sich der Kulturwerkstatt der Tufa an, engagierte sich aber auch in einer Frauengruppe der Katholischen Erwachsenenbildung. Die Grundidee von Josef Beuys setzt sie auch in ihrem Beruf um: Ulla Grass arbeitet mit Vorschulkindern in der St. Valerius-Kindertagesstätte in Feyen. In ihrer Arbeit will die Erzieherin die Kinder anregen, mit Hilfe von Musik, Malerei, Werken und Geschichten Gefühle zu äußern. "Wenn Beuys sagte, jeder Mensch ist ein Künstler, dann meinte er nicht, dass jeder Maler oder Bildhauer ist. Vielmehr glaubte er, dass jeder kreative Fähigkeiten besitzt, die nur geweckt und ausgebildet werden müssen", erklärt Grass. Eine demokratische Gesellschaft könne es nur geben, wenn Kunst in alle Gesellschaftsbereiche hineingetragen werde. Auch Ulla Grass ist vom erzieherischen Wert von Kunst überzeugt: "Eine Veränderung der Gesellschaft fängt beim Kind an. Viele Kreativitäts-Anstöße aus dem Vorschulalter werden jedoch in unserem Schulsystem abgeblockt. Ich möchte die Kinder dazu bringen, in ihrem weiteren Leben stets auf ihre kreativen Fähigkeiten zurückzugreifen."

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