Kunstgeschichte(n)

Onkel Fritz war neulich zu einer Gartenparty eingeladen. Er ist noch etwas grau im Gesicht.

"Du siehst aber gar nicht gut aus", meint Tante Erika besorgt. Onkel Fritz guckt finster: "War ja auch grässlich. Stell dir vor, die haben den Wein aus Pappbechern getrunken", regt er sich auf. "Skandalös", stimmt Tante Erika zu. "Skandalös" sagt sie immer, wenn sie etwas schlimm findet. "Als ob nicht jeder wüsste, dass Wein schon immer in Gläsern serviert wird." Da irrt sich Tante Erika. Ganz früher wurde der Wein oft sogar direkt aus sogenannten Weinschläuchen getrunken. Das sind Lederbeutel mit einem Mundstück wie ein Schlauch. Oft dienten auch Tonbecher als Trinkgefäße für Wein. Könige, Fürsten und reiche Leute tranken ihren Wein aus goldenen oder silbernen Bechern. Die "normalen" Leute benutzten Zinnbecher. Aber es gab auch schon sehr früh Weingläser. Das älteste bekannte Weinglas ist 3000 Jahre alt und stammt aus Ägypten. Es ist aus dickem Glas und gehörte dem Pharao Tutmosis III. Um so dünne Weingläser herstellen zu können, wie wir sie heute kennen, musste erst vor 2000 Jahren in Syrien die Glaspfeife erfunden werden. Damit konnte man endlich dünnes Glas blasen. Unsere heutige Weinglasform mit Kelch, Schaft (das ist der Stil zum Anfassen) und Fuß stammt aus Venedig in Italien. Da feine Gläser sehr schwierig herzustellen waren und sehr leicht zerbrachen, waren sie sehr teuer. Nicht jeder konnte sie sich leisten. Selbst reiche Familien hatten noch bis vor 200 Jahren nur wenige Gläser im Haushalt. Bei Einladungen wurden die Gläser herumgereicht, dabei mussten mehrere Gäste aus demselben Glas trinken. Anders als heute hatten die Familien auch nicht sechs oder zwölf gleiche Gläser für unterschiedliche Weinsorten wie Rotwein und Weißwein. Man hatte ein paar große und ein paar kleine Gläser. Das größte davon bekam der Ehrengast. Erst als vor 200 Jahren die großen Glasfabriken entstanden, wurden die Gläser billiger. Übrigens gehörte der berühmte Dichter Johann Wolfgang von Goethe zu den Leuten, die schon vor 200 Jahren für jede Weinsorte ein passendes Glas hatten. Er war nämlich ein großer Weinliebhaber, der furchtbar ungemütlich werden konnte, wenn das Glas nicht zum Wein passte. Eva-Maria Reuther

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