Aus dem Archiv Juli 2019 Neue Erkenntnisse zu Gewalt am Eifeler Internat Albertinum

Gerolstein · Es werden mehr und mehr. Von Einzelfällen kann keine Rede sein. Missbrauch und Gewalt standen in dem ehemaligen Gerolsteiner Internat auf der Tagesordnung. Das Bistum sucht das Gespräch mit den Opfern, will aufklären. Werden sie den Mut und die Kraft finden, zu sprechen?

 Heruntergekommene Immobilie: das Albertinum in Gerolstein.

Heruntergekommene Immobilie: das Albertinum in Gerolstein.

Foto: TV/Mario Hübner

Ein kleiner Junge steht vor dem baufälligen Gebäudeteil, der früher mal eine Kapelle war. Das Fenster ist herausgebrochen. Das Loch mit rostigen Gitterstäben verriegelt. Auf der anderen Seite des Raumes sind noch Buntglasfenster, in denen sich das Licht bricht. Doch bis in das Dunkel dieser Geschichte Licht fällt, wird noch viel Zeit vergehen.

„Der Junior ahnt nicht, was der Papa fühlt“ steht unter dem Foto. Es ist eines von vielen, das ein ehemaliger Schüler des Gerolsteiner Internats Albertinum unter dem Titel „Besichtigung eines Zerfalls“ vor Jahren in den Internet-Blog (www.albertinum.blogspot.com) gestellt hat. In dem Blog tauschen sich ehemalige Schüler aus. Leidensgenossen, deren Kindheit und Jugend in diesem Internat von Missbrauch, Gewalt und Demütigungen geprägt war. Nicht alle hat es gleichermaßen getroffen. Aber alle haben es mitbekommen. Viele lässt es bis heute nicht los.

Heute sind sie Männer um die 60 Jahre. Im Blog erzählen sie, wie sie mit Stöcken verdroschen wurden – „bis zu 20 Schläge aufs Gesäß“ – oder zur Strafe alleine in einen kleinen, vergitterten Raum gesperrt wurden. Einer schreibt: „Vor allem diese körperlichen Züchtigungen, der Freiheitsentzug, die damit einhergehende Scham meinen Kameraden gegenüber und zuletzt die immer bestehende Angst vor eben diesen Züchtigungen erlebte ich als unerträglich.“

Einem anderen Blogger zufolge gab es nicht nur Isolations-, sondern auch Dunkelhaft. Auch an ihm sei die „ganze Palette des perfiden Strafkatalogs durchexerziert“ worden. Er nennt Direktor und Präfekten der Schule „Folterknechte“ und lässt den Hinweis, dass in dieser Zeit, den 60er Jahren, auch an anderen Schulen und in Familien körperliche Züchtigung Gang und Gäbe war, nicht gelten. Im Albertinum hätten die Schüler eine sadistische Brutalität in einem Ausmaß erlebt, das über die für diese Zeit gewöhnlichen Züchtigungen hinaus ging. „Was wir duchgemacht haben gilt heutzutage mit Recht als physische und psychische Folter.“

Die Folgen trägt jeder für sich allein. Die Täter können nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sind längst verstorben. So fragt einer der Schreiber: „Was würde es bringen, wenn ich mich an das Bistum wendete? Jutz und Plato sind tot, das Internat aufgelöst. Ich würde lediglich eine weitere Zahl in der Statistik. Mit dem, was war, muss ich alleine klar kommen.“

Es ist von Missbrauch die Rede – „er machte es geschickt, beim Schwimmunterricht an der Kyll, so dass keiner es merkte“ –, aber vor allem von Prügeln. „Manches, wie  die Schläge, sind im Gedächniss geblieben, anderes, gnädig (?) verschwommen.“ Das „Andere“, der Missbrauch, ist noch schwerer in Worte zu fassen. Das Thema ist mit Schuld und Scham besetzt. Manche mussten, um zu überleben, das Erlebte verdrängen. „Oftmals habe ich geglaubt, ich hätte das alles nur geträumt. Die Prügel, die Isolationshaft, die sexuellen Spielchen in der Kapelle oder im Sportraum darunter.“ Durch den Austausch mit anderen wisse er heute: „Nicht nur ich habe so empfunden.“ Oder ein anderer: „Manches möchte man einfach nicht im Detail wissen. Dass das Gedächtnis vieles ausblendet, halte ich für gesund und hilfreich.“

Nun sucht das Bistum das Gespräch mit den Opfern, will aufklären und startet im Herbst mit einem großen Projekt (siehe Info).

Ein Leser, der sich auf unseren jüngsten Bericht meldete, wird an diesem Aufklärungsprojekt nicht teilnehmen. Er sagt: „Das ist alles schon so lange her. Ich war damals zehn Jahre alt, heute bin ich 62. Ich habe mit dieser Zeit eigentlich abgeschlossen.“ Eigentlich.

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